15. Juni 2018

Kult–Tour: Portugal

«Die Stadt der Sehenden» von José Saramago

Eine Protestwahl gegen die Mächtigen – einmal ganz anders angedacht: Das ist «Die Stadt der Sehenden» von José Saramago.

Unbequem und engagiert bis zu seinem Tod: José Saramago. Foto: © zvg

Er hat sich nie gescheut, unbequeme Wahrheiten in seinem literarischen Werk mit grosser Fabulierkunst und hintergründiger Ironie offen zu legen. Gerade weil er den Mächtigen von Staat und Kirche stets den Spiegel vorhielt, war und ist José Saramago (1922 – 2010) in Portugal ein nationaler Held. Der Literaturnobelpreisträger von 1998 wählte des öfteren die Form der Parabel, um kritische Situationen im gesellschaftlichen Gefüge auszuloten. In «Eine Zeit ohne Tod» geschieht das Unfassbare und keiner mehr stirbt. In «Die Stadt der Blinden» verlieren urplötzlich die Menschen ihr Augenlicht und in «Die Stadt der Sehenden» (2004) führt Saramago diese Geschichte weiter. 

In der namenlosen Hauptstadt, die von der unerklärlichen Blindheit heimgesucht wurde, werden Wahlen abgehalten. Das Resultat: über 70 Prozent der abgegebenen Stimmzettel sind leer. Als darauf die Regierung die Wahlen wiederholen lässt, sind es plötzlich 83 Prozent der Wählerinnen und Wähler, die eine Leerstimme abgeben.

In der Folge reagieren die Mächtigen autoritär und rufen den Belagerungszustand aus. Es wird nach Verschwörern gesucht, doch es scheint sie nicht zu geben. Das Volk scheint ohne vorherigen Aufruf solidarisch sein Recht auf Verweigerung auf eine Stimme wahrzunehmen.

Saramagos Kritik an den Mächtigen ist zugleich ein Hinweis auf die Fragilität demokratischer Strukturen. Jetzt, da von Osteuropa bis in die USA die Demokratien durch schleichende Unterwanderung bedroht sind, ist «Die Stadt der Sehenden» aktueller denn je und ein von Sprachgewalt erfülltes Plädoyer an die Bürger, wachsam zu sein und dies nicht zuzulassen.

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José Saramago. Die Stadt der Sehenden. Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis. eBook. Hoffmann & Campe, Hamburg.

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