12. Oktober 2017

Interview mit Al Gore

«Wir haben Zeit, wenn wir rasch handeln»

Ein Mann, eine Mission: Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore erklärt im Gespräch mit TheTitle, was wir tun können und tun müssen, um die Klimakatastrophe abzuwenden und weshalb dabei Donald Trump keine Rolle spielt.

Interview: Rudolf Amstutz
Al Gore weiss vor allem die Jugend hinter sich – hier anlässlich einer Rede an der Stanford University in Kalifornien: Szene aus «An Inconvenient Sequel – Truth to Power». Bild: © Participant Media

2006 sorgte Al Gore mit dem Oscar prämierten Film «An Inconvenient Truth» dafür, dass sich selbst standfeste Kritiker mit dem Problem der Klimaerwärmung auseinandersetzen mussten. Jetzt doppelt der ehemalige US-Vizepräsident mit «An Inconvenient Sequel – Truth to Power» nach. Begleitete der erste Film ihn hauptsächlich während einer Vortragsreise und zeigte auf, mit welchen klimatischen Auswirkungen wir in Zukunft zu rechnen haben, so zeigt nun die neue Dokumentation Al Gore auf seinen Reisen rund um die Welt. Betroffen machen jene Passagen zwischen Grönland, den Philippinen oder Miami, wo klar wird, welch massiven Folgen die globale Erwärmung bereits ausgelöst hat. Doch der Film unterstreicht auch die breit angelegten Bemühungen, die definitive Katastrophe – also den «point of no return» – abzuwenden. Die Solar- und Windindustrie hat neue Arbeitsplätze geschaffen und Gore demonstriert dies anhand eines Treffens mit einem politischen «Feind»: Dale Ross, der erzkonservative Bürgermeister des texanischen Städtchens Georgetown, hat die wirtschaftlichen Chancen genutzt und versorgt seine Gemeinde zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien. «An Inconvenient Sequel – Truth to Power» zeigt aber auch auf, welches Fingerspitzengefühl und wieviel politisches Kalkül es benötigt hat, um einen Durchbruch wie jener am Klimagipfel in Paris überhaupt erreichen zu können.

Das Gespräch mit Al Gore fand am 9. Oktober 2017 im Rahmen des Zurich Film Festivals statt.

 

Al Gore, Ihr neuer Film «An Inconvenient Sequel – Truth to Power» kommt keine Minute zu früh: mit den Hurricanes «Harvey», «Irma» und  «Maria» hat das Wetter in den letzten Wochen verrückt gespielt.

Al Gore: Es ist in der Tat so, dass Mutter Natur zum überzeugendsten Advokaten geworden ist für die Reduktion von CO2. «Harvey» und «Maria» waren schon sehr ungewöhnlich. Bei «Harvey» regnete es in fünf Tagen eineinhalb Meter. Gemäss den Meteorologen beträgt die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis einmal in 25'000 Jahren. In der Schweiz sind die Auswirkungen der Erderwärmung auch spürbar. Der Felssturz im bündnerischen Bondo ist darauf zurückzuführen, dass überall auf der nördlichen Halbkugel der Permafrost zu schmelzen beginnt. 

Düstere Aussichten…

Ja, aber es gibt parallel dazu eine andere Entwicklung. Fakt ist, dass die Solar- und Windenergie oder Batterien für elektrische Fahrzeuge oder auch LED-Lampen für die Konsumenten zunehmend erschwinglicher werden und dass die Industrien zur Herstellung dieser Produkte neue Arbeitsplätze schaffen. Das erachte ich als eine positive Veränderung.

Mittlerweile sind nicht nur die Naturwissenschaftler, sondern auch eine Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt, dass der Klimawandel existiert und dass wir Menschen zu einem grossen Teil dafür verantwortlich sind. Dennoch gibt es immer noch zahlreiche Leute, die den Tatsachen nicht ins Auge sehen wollen. Was treibt einen Menschen dazu, Offensichtliches wie den Klimawandel zu leugnen?

Das ist eine sehr gute Frage und sie ist nicht so einfach zu beantworten wie sie klingt. In den USA gibt es meiner Meinung nach vier Hauptgründe dafür. In meinem Heimatstaat Tennessee haben wir ein Sprichwort: «Wenn Du eine Schildkröte auf einem Zaunpfahl siehst, dann kannst Du sicher sein, dass die nicht von selbst dahin gekommen ist.» Will heissen: Wenn sie die grosse Zahl an Leugnern des Klimawandels betrachten, dann können Sie ziemlich sicher sein, dass nicht alle von ihnen selbst zu diesem Schluss gekommen sind. Die grössten Umweltverschmutzer haben die Strategie der Tabakfirmen übernommen, die einst mit Schauspielern in weissen Kitteln den Menschen versicherten, dass das Rauchen in keinem Zusammenhang mit dem Krebsrisiko steht. Es wird eine Unmenge an Geld ausgegeben, um die wissenschaftlichen Fakten zu bekämpfen. 

Die Industrie erhält dabei aber auch Unterstützung von der politischen Rechte.

Genau. Ein zweiter Grund ist nämlich der Fakt, dass konservative Politiker unentwegt für einen schlankeren Staat kämpfen. Wenn sie die Realität anerkennen würden, dann hiesse dies aber, dem Staat eine grössere Aufgabe zuzusprechen als ihnen lieb ist. Der dritte Grund ist die menschliche Natur. Wir alle sind empfänglich dafür, Dinge zu leugnen, die für uns schmerzhaft sein können. Und last but not least liegt das Problem auch in unserer Kultur und der Art wie wir kommunizieren. Seit die elektronischen Massenmedien die gedruckte Kommunikationskultur untergraben haben, hat sich die Grenze zwischen News und Entertainment aufgelöst. Für Konsumenten wird es daher immer schwieriger, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.

Der prominenteste Leugner ist Donald Trump.

(seufzt) Ich habe in einem persönlichen Gespräch versucht, seine Meinung zu ändern, bin aber gescheitert. Als er verkündete, die USA würde vom Pariser Klimaabkommen zurücktreten, war ich besorgt, andere Länder würden die Gelegenheit nutzen, um ihm zu folgen. Das war nicht der Fall. Im Gegenteil: Tags darauf bekräftigten nicht nur die restlichen Nationen, sondern auch Bundesstaaten wie Kalifornien oder New York sowie Hunderte von US-Gemeinden und Tausende von Unternehmen ihr Comittment, an den beschlossenen Massnahmen festzuhalten. Wichtig zu wissen ist auch, dass der erste Tag, an dem die USA sich legal vom Pariser Abkommen zurückziehen können, der Tag nach den nächsten US-Präsidentschaftswahlen ist. Ich will jetzt damit nicht sagen, dass Donald Trump irrelevant ist, aber er hat sich selber isoliert und wird nicht in der Lage sein, dies aufzuhalten. Keine Person kann dies noch aufhalten.

Die westliche Welt lebt im Überfluss. Welchen Anteil am Klimawandel hat eigentlich der Kapitalismus?

Darüber habe ich in der Tat viel nachgedacht. Zuerst muss gesagt sein, dass die Alternativen zum Kapitalismus, sowohl jene von der rechten wie von der linken Seite, im Laufe des 20. Jahrhunderts deutlich gescheitert sind. Zudem möchte ich differenzieren zwischen dem Kapitalismus als System und der gegenwärtig existierenden Form. Als System hat er klare Vorteile, was den Ausgleich von Angebot und Nachfrage betrifft. Zudem erlaubt er den Menschen die Ausübung individueller Freiheit und er garantiert uns Presse- und Religionsfreiheit. Dadurch fördert er auch das menschliche Potenzial. Allerdings bedarf die gegenwärtige Form des Kapitalismus einer dringenden Reform. Die Art wie wir Fortschritt messen, beruht einzig auf der Förderung des Bruttoinlandproduktes. Daraus resultiert nicht nur eine Zunahme von Umweltverschmutzung. Auch die chronische Unterinvestition öffentlicher Dienstleistungen, vor allem im Bildungs- und Gesundheitsbereich, gehört zu den Resultaten, eine stetig wachsende Ungleichheit des Wohlstandes und eine  nicht nachhaltige Nutzung unserer natürlichen Ressourcen. Deshalb müsste man all diese Faktoren bei der Evaluation unseres kapitalistischen Systems integrieren und mit Gesetzes- und Steuerreformen Ausgleiche schaffen. Sorry für diese lange Antwort (schmunzelt).

Haben Sie das Gefühl, hätten Sie im Jahr 2000 anstelle von George W. Bush ins Weisse Haus einziehen können, dass Sie in Ihrem Kampf mehr hätten erreichen können?Haben Sie das Gefühl, wenn 2000 das Oberste Gericht der USA nicht entschieden hätte, dass bei der Präsidentschaftswahl nicht mehr weiter ausgezählt wird, dass Sie in einer Position gewesen wären, in der Sie weit mehr hätten erreichen können?

Ich denke schon, ja. Obwohl viele Leute zu mir sagen, ich sei nun in der Lage wesentlich mehr zu tun, bin ich damit nicht einverstanden. Es gibt wohl keine idealere Position als jene des US-Präsidenten, um positive Entwicklungen voranzutreiben aber es hat nicht sollen sein. Ich bin dankbar, dass ich andere Wege gefunden habe, um der Sache zu dienen. (lächelt) 

In einem vielbeachteten Artikel im New York Magazine wurde der Worst Case des Klimawechsels geschildert: wirtschaftlicher Kollaps, Hungersnot und eine gigantische Migration. Wie wahrscheinlich sind solche Szenarien?

Es ist wichtig, dass wir uns über alle möglichen negativen Auswirkungen im Klaren sind. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir es schaffen können, den Worst Case abzuwenden, weil ich dem herrschenden wissenschaftlichen Konsens vertraue, der da heisst: Wir haben Zeit, wenn wir rasch handeln. Aber egal, was wir auch tun, wir werden mit den Konsequenzen des Klimawechsels in den kommenden Jahrzehnten zu leben haben. Es braucht mindestens eine Verdoppelung unserer Anstrengungen, damit wir nicht an einen Punkt gelangen, an dem es kein Zurück mehr gibt.

Ein republikanischer Think Tank hat behauptet, ihr Carbon Footprint sei grösser als jener von Godzilla…

(lacht)

Sie fliegen um die ganze Welt…

Der Flugverkehr ist in der Tat ein ernstzunehmendes Problem. Er ist für rund zwei Prozent sämtlicher Emissionen verantwortlich und das ist eine sehr hohe Zahl. Kurzfristig gibt es keine Alternative zum Treibstoff, der zurzeit verwendet wird. Man versucht, die Flugzeuge leichter zu machen, um so dem Verbrauch entgegen zu halten. Wenn ich fliege, verdopple ich zwar jeweils freiwillig den Betrag für die Klimakompensation, aber letztlich ist dies nicht vollends befriedigend. Am Ende muss ich mich entscheiden: Will ich international meine Botschaft verkünden oder nicht?

Sollten Sie nicht mit gutem Beispiel vorangehen und den Menschen zeigen, dass wir unsere Art zu leben drastisch ändern müssen?

Wir leben in einem globalen System, das mit fossilen Brennstoffen angetrieben wird. Das lässt sich nicht von Heute auf Morgen ändern. Aber Sie haben recht, jeder kann ganz persönlich seinen Teil zur Veränderung beitragen. Ich persönlich fahre ein elektrisches Fahrzeug, meine Farm wird mit Hilfe von Sonnenenergie betrieben, ich benutze ausschliesslich LED-Lampen und ernähre mich seit fünf Jahren vegan. Ich rede also nicht nur darüber, sondern tue auch etwas in meinem privaten Umfeld. Aber so entscheidend es auch ist, dass man zuhause die Glühlampen wechselt, entscheidend ist, dass wir die Gesetze und die Regeln ändern, vor allem müssen die fossilen Brennstoffe massiv besteuert werden. 

Was denken Sie denn, was wir als einzelne Bürger tun können, um die Situation zu verbessern.

Drei Dinge: Nutzen Sie Ihre Stimme! Lernen Sie die Argumente, damit Sie die Diskussionen rund um den Klimawechsel für sich entscheiden. Viele Dinge, sogar Revolutionen passieren, weil Menschen Diskussionen für sich entscheiden können. Nutzen Sie Ihr Stimmrecht! Unterstützen Sie Politiker, die die Problematik erkannt haben. Hier auch mal ein Lob an das Schweizer Wahlvolk, das in Sachen Klimapolitik richtig entschieden hat. Die Schweiz gehört zu den führenden Nationen in dieser Sache. Und drittens: Nutzen Sie Ihre Möglichkeiten, in dem Sie klimaneutrale und alternative Energien wählen. So senden Sie ein klare Nachricht an die Unternehmen und die Industrie und erhöhen die Nachfrage der Konsumenten für verantwortungsvolle Technologien und Produkte.

Letzte Frage: woher nehmen Sie eigentlich die Energie, die ganze Welt zu bereisen und in zahllosen Reden die Menschen auf das Problem aufmerksam zu machen? 

Obwohl es so nie geplant gewesen war, ist der Kampf gegen den Klimawechsel zu meiner persönlichen Mission geworden. Ich erachte es als Privileg, dies zu tun und habe auch – aber bitte verstehen Sie den Ausdruck in diesem Zusammenhang nicht falsch – Freude daran, Menschen zu treffen und eine Arbeit zu verrichten, die moralisch legitimiert ist. Das gibt mir die Energie, dies zu tun.

 

#-#SMALL#-#Zur Person

Al Gore (*1948) hat bereits während seiner Studienzeit in Harvard begonnen, sich für Umweltthemen zu engagieren. Dort traf er auf  den Naturwissenschaftler Roger Revelle, der zu den ersten gehörte, der von einem drohenden Klimawandel sprach. Von 1977 bis 1985 war Gore Abgeordneter seines Heimatstaates Tennessee im US-Repräsentantenhaus, anschliessend neun Jahre US-Senator, bevor er unter Bill Clinton von 1993 bis 2001 zum US-Vizepräsidenten wurde. Bei den US-Wahlen 2000 unterlag er George W. Bush durch einen umstrittenen Entscheid des Bundesgerichtes, das die Nachzählung in Florida stoppte. 2006 erhielt sein Film «An Inconvenient Truth» den Oscar für den besten Dokumentarfilm. 2007 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Al Gore ist Gründer und Vorsitzender der gemeinnützigen Organisation The Climate Reality Project sowie des Generation Investment Management, einer Investmentfirma, die sich auf  nachhaltige Projekte spezialisiert hat. Zudem sitzt Gore im Vorstand von Google und Apple. Al Gore ist geschieden und ist Vater von vier Kindern. #-#SMALL#-#

 

#-#IMG2#-##-#SMALL#-#«An Inconvenient Sequel – Truth to Power». USA 2017. Regie: Bonnie Cohen, Jon Shenk. Drehbuch: Al Gore. Kamera: Jon Shenk. Musik: Jeff Beal. 98 Minuten. Mit: Al Gore u.a.

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