28. August 2020

«Point Yello» – Interview mit Dieter Meier und Boris Blank

Beseelte Musik und schwebende Vögel

«Point Yello» nennt sich das 14. Studioalbum des legendären Zürcher Duos Yello.«Point Yello» nennt sich das 14. Studioalbum des legendären Zürcher Duos Yello. Erfrischend neugierig geblieben präsentieren sich Dieter Meier und Boris Blank sowohl auf ihren neuen Songs wie auch im Gespräch mit TheTitle.

Interview: Rudolf Amstutz
Unzertrennlich: Dieter Meier (link) und Boris Blank. Bild: © Universal Music

Fast auf den Tag genau vier Jahre ist es her, als sie ebenfalls zum Interview an selber Stätte luden: Im Untergeschoss des Zürcher Anwesens von Dieter Meier, im Studio des Klangtüftlers Boris Plank. Der Titel des damaligen Albums war Programm: «Toy» unterstrich die Spielfreude dieses Duos, das sich stets treu geblieben ist, ohne sich zu wiederholen. «Point Yello» heisst nun das neueste Werk von Meier (75) und Plank (68) und im Gespräch beweisen die beiden auch im 40. Jahr seit ihrem Erstling «Solid Pleasure», dass eine unverbrauchte, lustvolle Haltung nichts mit dem eigenen Alter zu tun hat.

Vor vier Jahren haben wir uns zum letzten Mal getroffen. Die Welt hat sich seitdem verändert. Einschneidend durch Covid-19. Wie sehr machen Sie sich als Künstler darüber Gedanken?

Dieter Meier: Covid-19 ist eine Katastrophe, nicht nur für die Kulturszene. Diese ist aber in ihrem Lebensnerv besonders betroffen, wenn keine Auftritte stattfinden können. Das Bedürfnis des Menschen Kultur zu machen und Kultur zu erfahren, ist nicht tot zu kriegen. So wie nach einem Waldbrand neues Grün aus dem Boden spriesst, wird die Kultur nach dieser Pandemie wie bei einem Vulkanausbruch in die Höhe schiessen.

Boris Blank: Verändert hat sich in den letzten Jahren auch die Flut an Informationen, die uns entgegenschlägt. Heute wird uns auch mitgeteilt, wenn man in Karachi einer uralten Frau den Weisheitszahn gezogen hat. Oder auch, was der Herr Trump jeden Tag so alles rauslässt, muss die ganze Welt erfahren. Ich denke, das stumpft zunehmend ab und macht uns alle lethargisch.

Dieter Meier: Aber wenn Du, Boris, hier im Studio bist…

BB: …dann bin ich wie der Mönch auf dem Berg. Dann ist mir eigentlich egal, was rund um mich herum geschieht. Wenn ich daran denken würde, was da alles los ist, dann könnte ich nicht mehr Musik machen.

Herr Blank, Sie haben da im Studio für alle sichtbar zwei Alben aufgestellt: «Bitches Brew» von Miles Davis und «Sextant» von Herbie Hancock.

BB: Das sind meine Schlüsselplatten. Auf «Sextant» ist dieses geniale Stück «Rain Dance», auf dem Herbie Hancock einen Arp Odissey benutzt hat, so einen wie diesen hier. (zeigt auf einen alten Sythesizer). Das war der Grund, weshalb ich mit Musik angefangen habe. «Sextant» klingt auch heute noch hypermodern. Und diese Mischung aus Elektronik und der Genialität von Miles auf «Bitches Brew», grossartig!

DM: Sind da Vinylplatten drin?

BB: Aber sicher.

DM: Kann ich mir die mal ausleihen?

BB: Ja, aber mit Vorsicht behandeln!

DM: Klar doch.

Vinylplatten sind ein gutes Stichwort. Ich hörte kürzlich wieder mal «Solid Pleasure», das erste Album von Yello. Die Musik ist überhaupt nicht gealtert und klingt frisch wie eh und je.

BB: Das ist ein schönes Kompliment.

DM: Das hängt damit zusammen, dass Boris nicht in der Lage ist, einem Trend zu folgen. Der Boris Blank kann eigentlich nur Boris Blank. Er erfindet sich quasi selber beim Musik machen. Es ist diese Originalität, die nicht altern kann. Hören Sie Mozart oder Beethoven. Die klingen auch frisch. Und danach hören sie die Epigonen, die bloss in ihre Fussstapfen getreten sind. Alles langweilig!

«Point Yello» ist der jüngste Nachweis dafür. Obwohl bereits nach dem ersten Ton unverkennbar Boris Blank, wiederholt sich die Musik nie.

BB: Das ist der Jagdinstinkt. Man will immer was Neues. Das hat auch mit der Musiktechnologie im weitesten Sinn zu tun. Es kommen laufend neue Tools auf den Markt, mit denen man noch tiefer in die molekulare Struktur von Geräuschen eingreifen kann, um sie zu manipulieren. Das fördert den Spieltrieb.

Ihr letztes Album «Toy» wirkte spielerischer. «Point Yello» ist trotz der beschwingten Art in seiner DNA erdiger, in einem abstrakten Sinn bluesiger geworden.

DM: Okay, das muss Boris beantworten.

BB: Ich habe darauf keine Antwort. Ich bin kein Musiker im herkömmlichen Sinn, ich bin ein Stimmungsmacher. Das kann schon sein, dass die Stimmung mal auf die eine oder andere Seite kippt.

Vielleicht hat Sie die Nachricht von der alten Frau in Karachi beeinflusst.

BB: (lacht) Genau. Wer weiss das schon?

Was hat es mit «Point Yello», dem Albumtitel, auf sich?

BB: Der Titel ist immer das Schwierigste, wenn wir mal ein Album beisammen haben. Dieter hat mich aus Buenos Aires angerufen: «Boris, ich habe einen Titel: Point Yello». Und ich habe gesagt: Wow! Man spürt sofort, wenn der Titel ins Schwarze trifft.

DM: Der Titel hat auch eine Bedeutung. Das ist der Punkt, an dem man sich trifft – für und mit Yello. Es gibt ja auch «Point Blank», ein ganz toller Spielfilm.

Achtung Wortspiel!

BB: (lacht)

DM: Der Titel weist aber auch darauf hin, dass wir es mit einem Konzentrat von Yello zu tun haben. «What’s the point?», fragt man oft. Antwort: «Point Yello».

BB: Oder «The Point Of No Return.» Oder Brennpunkt. Oder Treffpunkt. Man trifft sich bei Yello und Yello trifft sich auf den Punkt.

DM: Sie sind doch aus Biel?

Ja.

DM: Wie der mir liebste und teuerste Schriftsteller – Robert Walser.

Walser ist eine gutes Stichwort. Er liebte bekanntlich Spaziergänge. Sie dürfen jeweils als Erster in die von Boris Blank entworfenen Klangräume eintreten und dort spazieren gehen.

DM: Nun, ja, das ist so.

Während des Spaziergangs machen Sie sich Ihre Gedanken und vertonen den Raum mit Worten. «The Vanishing of Peter Strong» ist so ein wunderbares Beispiel. Vielleicht der opulenteste Ultrakurz-Hörfilm der Musikgeschichte.

DM: Ja, das war ein First Take. Ich ging da in die Aufnahmekabine und wollte eigentlich nur den Sound meiner Stimme anhand von Worten testen. Danach, dachte ich, werde ich den eigentlichen Text schreiben. Boris meinte aber: Nein, das bleibt so.

Die erste Idee ist meist die Beste. Ist das so?

BB: Manchmal. Es gibt Momente, wo ich mir sagen muss: So fertig jetzt. Lass es gut sein! Das musste ich aber zuerst lernen, weil es mit diesen Klangwerkzeugen eigentlich unendlich viele Möglichkeiten gäbe.

Ein schöner Aspekt Ihrer Zusammenarbeit ist, dass die Musik elektronisch entsteht und unserem digitalen Zeitalter entspricht, während die Texte analog auf einer Hermes Baby Schreibmaschine entstehen.

DM: Das geht gut zusammen, weil die Klänge von Boris zwar artifiziell sind, aber niemals kalt. Er ist wie ein Maler, der eine neue Farbe mischt. Ich werde in diese Musik hineingezogen, weil sie beseelt ist.

Die Texte kommen immer erst zustande, wenn die Musik steht?

DM: Absolut, ja. Ich bin immer total fasziniert, wenn ich mich in diese Klangbilder hineinwerfen kann. Das ist ein absolutes Vergnügen. Obwohl: Boris ist extrem selbstkritisch. Manchmal muss ich auch sagen: Genug jetzt, das ist absolut perfekt. Da brauchst Du wirklich jetzt nicht noch vier zusätzliche Christbaumkugeln an den Baum zu hängen.

BB: (lacht) Das stimmt mit den Christbaumkugeln. Das kommt nicht von ungefähr. Früher habe ich oft in einen einzigen Song mehr als ein halbes Dutzend Ideen verpackt. Damals habe ich mit dem Baum schmücken nicht aufhören können. Das war der jugendliche Drang. (lacht)

In den Yello-Songs tauchen immer wieder fiktive Figuren auf. Auf dem neuen Album hat es Songtitel wie «The Vanishing of Peter Strong», «Arthur Spark», «Running with Joe». Haben Sie ein Kabinett all dieser Charaktere angelegt, die Sie über die Jahre erschaffen haben?

DM: Nein. Die Musik löst etwas Spontanes in mir aus. Das fliegt auf mich zu, aber dann auch schnell wieder weg. Das ist bei Boris ganz anders, der kämpft sich durch die komplexe Klangwelt hindurch, die dann auch bestehen bleibt. Bei mir verhält es sich wie ein Vogel, der in diese Klangwelt hineinfliegt, begeistert ist und eine Zeit lang schwebt. Dann flieg ich wieder weg.

BB: Auf «Arthur Spark» und auch auf «Basic Avenue» ist übrigens meine Stimme zu hören. Dieter war nicht da, also legte ich mit Hilfe eines Harmonizers meine Stimme etwas tiefer. Das Ganze war als Vorschlag für ihn gedacht, an welchen Stellen ich mir seine Stimme vorstellen könnte. Aber dann meint er: Boris, das lassen wir so, das klingt super!

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«Point Yello» (Universal Music) von Yello ist heute erschienen.

«Waba Duba» (Official Video) »

«Spinning My Mind» (Official Video) »

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