Interview mit Gregory Porter
«Wenn sich der Jazz in eine Ecke verkriecht, dann ist er tot»
Es ist noch gar nicht so lange her, das Gregory Porter als Unbekannter durch kleine Jazzclubs tingelte. Doch mit «Liquid Spirits» und «Take Me To The Alley» katapultierte sich der Mann mit der unverkennbaren Ganzkopf-Mütze zum Weltstar. Mit «Nat King Cole and Me» hat er nun seinem musikalischen Vater ein klingendes Denkmal gesetzt. Jazz’n’More hat den bescheidenen Optimisten in New York getroffen.
Interview: Rudolf Amstutz15. Februar 2018. Gregory Porter sitzt auf dem Sofa in der Bar eines Hotels in Midtown Manhattan und zeigt sich sichtlich zufrieden. Am Abend zuvor stand er auf der Bühne der Carnegie Hall. Sein «Valentines Day Concert» fand bereits zum fünften Male in Folge in New York statt. «Das hat sich ganz automatisch zu einer Tradition entwickelt», sagt der 47-jährige Kalifornier lächelnd und unterstreicht damit zwei für ihn typische Dinge: Kontinuität ist für ihn genauso wichtig wie die Botschaft von Optimismus und Liebe. Auch wenn er weltweit für Furore sorgt und keine Berührungsängste mit dem Mainstream kennt, die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität ist und bleibt Kern und Antrieb seiner künstlerischen Arbeit.
Gregory Porter, Sie sind nach Jahren in New York wieder in Ihre Heimatstadt Bakersfield zurückgekehrt. Was hatte Sie einst veranlasst, Kalifornen den Rücken zu kehren?
Gregory Porter: Ich wollte die Energie spüren, die von New York ausgeht und herausfinden, was aus einem aus Bakersfield werden kann, wenn er sich in diese Szene hinein begibt. Ich bin überzeugt, dass ich ohne meine Zeit in Brooklyn und Harlem nicht so klingen würde wie ich dies heute tue. Die unzähligen kleinen Clubs, in denen man mit anderen lokalen Musikern zusammenkommt – das hat mich enorm geprägt.
In Bakersfield sind Sie als Kind einer alleinerziehenden Mutter und mit sechs Geschwistern in einer weissen Nachbarschaft aufgewachsen. Damit verbinden sich nicht nur positive Erinnerungen.
Ich bin ein unerschütterlicher Optimist. Und so überstrahlen die guten Erinnerungen die weniger guten: die Zeit mit der Familie, auf Bäume klettern (lacht), Football spielen. Ich bevorzuge diese Erinnerungen. Die schmerzhaften Dinge sind in meinem Kopf ganz hinten verstaut, aber sie sind mitverantwortlich beim Enstehen meiner Musik. In meinen Liedern geht es oft um den Underdog, um die Menschen ganz unten.
Ihr aktuelles Album haben Sie Nat King Cole gewidmet, den Sie als Vaterfigur bezeichnen. Es gibt diese Episode in Coles Leben, als er in Los Angeles ein Haus kaufte, worauf der Ku Klux Klan ein brennendes Kreuz in dessen Vorgarten stellte. Auch Sie haben dies in Ihrer Jugend erlebt.
Ja. Unser Haus in Bakersfield lag an einer Strasse namens Christmas Tree Lane. Im Rückblick wirkt der Vorfall auch wegen des Strassennamens surreal. Neben dem brennenden Kreuz wurde auch regelmässig in Bierflaschen uriniert und diese dann durch unser Fenster geworfen. Diese Erfahrungen hätten für uns Kinder traumatisch sein können, wenn da nicht unsere Mutter gewesen wäre. Sie war eine enorm starke Persönlichkeit. Sie hat uns eingetrichtert, dass wir als Menschen nicht weniger wert sind. Sie nutzte diese Vorfälle als Lehrstunde.
Aus Anlass der Rassenunruhen in Ferguson haben Sie den Song «Fan the Flames» geschrieben, der auf Ihrem vierten Album «Take Me To The Alley» zu hören ist. Darin findet sich die Textzeile: «Break a window and let the sun in». Damit drehen Sie eine negative Erfahrung um in eine positive Botschaft.
Ich versuche hinter tragischen Ereignissen immer auch eine Hoffnung zu entdecken. So wie damals in Bakersfield: Da zeigten viele unserer weissen Nachbarn ihre Solidarität und beschenkten uns mit Früchtekörben und Gemüse aus ihrem Garten.
Auch hier ähneln Sie Nat King Cole. Seine glasklare Stimme zu hören fühlt sich erfrischend positiv an, und dies trotz den ernsthaften Untertönen, die gleichzeitig transportiert werden. Auch Sie haben dieses gekonnte Spiel mit Kontrasten.
Ich bin wirklich schockiert, wie viele Menschen den sozialen Kommentar in Coles Musik überhören. Gerade auch, wenn man berücksichtigt, wer er war und in welcher Zeit er lebte. Was gehört zum Soundtrack der schwarzen Bürgerbewegung? Natürlich «Say it loud, I‘m black and I‘m proud» oder auch (singt) «Keep your eyes on the prize, oh Lord». Aber eben auch (singt) «Smile when your heart is achin’» oder (singt) «Pick yourself up and start all over again.» Cole war sich sehr wohl bewusst, wer er war und was er tat. Wenn er im Fernsehen auftrat und seine Arme in Richtung der amerikanischen Bevölkerung ausbreitete, dann tat er dies als allererste schwarze Person in den USA und erst noch in einer Show, die seinen Namen trug.
Und er nutzte seine optische Ausstrahlung, um diesen Kommentar in die Wohnstuben der weissen Amerikaner zu bringen.
Genau. Er stand in der selben Liga wie all die anderen Crooner jener Tage. Und doch unterscheidete er sich massiv von ihnen. Er wurde immer wieder attackiert, selbst wenn er auf der Bühne stand. Seine Frau und seine Kinder mussten sich im Alltag fürchten. Dieses Bewusstsein steckt in seiner Stimme.
(Kellner kommt, Gregory Porter studiert die Karte)
(zum Kellner) Bringen Sie mir einfach mal ein paar Oliven zum Anfang. Den Rest bestelle ich später.
Wenn wir grad beim Essen sind: Kochen ist eine Leidenschaft von Ihnen. Als Kind bekochten Sie Ihre arbeitstätige Mutter, später dann kreierten Sie ausgewählte Suppen für das Café Ihres Bruders in Brooklyn. Wann erscheint Ihr erstes Kochbuch?
(lacht laut auf) Das würde mich in der Tat interessieren. Aber dafür braucht man einen Moment der Ruhe, wo man sich auf ein solches Projekt konzentrieren kann. Wenn, dann müsste es wirklich authentisch sein und die Rezepte müssten meine Handschrift tragen. Ich gebe Konzerte auf der ganze Welt und esse dann stets die jeweiligen Spezialitäten. Mir schwebt vor, dass ich diese Rezepte mit Hilfe meiner Hände, meiner Augen und meiner Sinne übersetze, damit sie hier mit lokal erhältlichen Produkten aus der Region realisiert werden können.
Das klingt wie Jazz: Sie nehmen ein Thema, bearbeiten es und improvisieren.
Klar doch, Essen ist etwas musikalisches. Musik und Essen sind sehr stark miteinander verbunden. Alle kulturellen Erfahrungen, die man in seinem Leben macht, formen eine Verbindung zueinander.
Zurück zu Nat King Cole. War bereits früh klar, dass Sie einmal eine Hommage in Albumform machen wollten?
Ja. Theoretisch hätte es gar mein erstes Album werden können. Doch ich wollte mich zuerst als Sänger etablieren und zuwarten, bis ich das Selbstvertrauen und die nötigen Möglichkeiten besass, um ein Album dieser Art zu machen. So ein Album ist aufwendig. Ich wollte ein richtiges Orchester und durchdachte Arrangements.
Und auch eigene Kompositionen. Die Platte heisst ja «Nat King Cole and Me».
Ja, Songs, die einerseits Bezug nehmen auf jene von Nat King Cole, aber andererseits auch eine eigene Identität besitzen.
Sie sind im Gegensatz zu vielen anderen Sängern nicht nur Interpret, sondern auch Songwriter. Wie nähern Sie sich aus dieser Perspektive fremdem Material an?
Zuerst muss ich eine emotionale Verbindung zu einem Song verspüren. Nat King Coles Musik begleitet mich seit ich sechs Jahre alt war, da besteht also eine sehr enge Bindung dazu. Mein Songwriting ist beeinflusst durch Lieder wie «Nature Boy» oder «Smile»: Optimistische Lieder, die in ihrem Kern Weisheit beinhalten. Damit lebt man dann ein ganzes Leben. «The biggest lesson you learn is just to love and to be loved in return.» So ein Statement wird zu einem heiligen Zitat. Ein fremder Text muss etwas beinhalten, das ich selber sagen würde. So, dass ich zu mir selbst sage: «Oh, das kann ich unterschreiben, das entspricht meiner politischen Linie» (lacht).
Es ist verblüffend wie Sie fremde Songs zu Ihren eigenen machen. Zum Beispiel «Sinnerman» von Nina Simone. Das Lied behält seine Handschrift und ist doch ganz und gar Gregory Porter.
«Sinnerman» erinnerte mich immer an einen Gottesdienst im Freien, bei dem der Geist freigesetzt wird. Ich höre diesen offenen und freien spirituellen Ausdruck. Diesen stetig immer höher fliegenden, aufsteigenden Geist wollte ich vertonen. Man nimmt den Song mit auf seine eigene spirituelle Reise.
Bob Dylan sagte mal, er schreibe keine Lieder. Die seien schon da und er müsse sie nur wie Schmetterlinge einfangen? Kennen Sie dieses Gefühl?
Oh ja. Ich weiss, dass meine Mutter durch meine Songs spricht. Die spirituelle Energie, die sie mit sich trug, kommt durch mich hindurch. (wird nachdenklich und wirkt melancholisch) Sie müssen wissen: «Liquid Spirit» ist nichts anderes als die vertonte Predigt meiner Mutter. Sie ist es, die mir die Inhalte zu meinen Kompositionen geschenkt hat.
In Christian Broeckings Buch «Gregory Porter – Jazz, Gospel & Soul» lässt sich nachlesen, dass Sie jedes Ihrer Lieder auch als ein politisches Statement betrachten. Jene Tracks, die Sie während Obamas Präsidentschaft veröffentlicht haben, hören sich nun zu Zeiten Trumps anders an. Songs scheinen uns zu verschiedenen Zeiten verschiedenes zu erzählen.
Absolut. «When Love was King» ist heute ein ganz anderes Lied, als zum Zeitpunkt als ich es geschrieben habe. Die Art wie ich ihn heute interpretiere und die Gründe, weshalb ich es tue, haben sich verändert. Ich habe es geschrieben, bevor dessen Inhalt zwingend war. Jetzt ist es ein notwendiger Song geworden.
Sie haben in der Vergangenheit auch intensiv mit George Lewis und David Murray gearbeitet. Könnten Sie sich für sich auch ein Projekt vorstellen, das in eine experimentelle, freiere Richtung gehen würde?
George Lewis und David Murray haben ein musikalischen Vokabular das nicht den geraden Weg wählt und daher nicht für alle zugänglich oder verdaulich ist. Es sind Musiker mit beeindruckender Breite und Tiefe. Und ich denke, die abstrakte Expression existiert auch in mir. Irgendwann in meiner Karriere werde ich diesen Weg auch beschreiten.
Man muss sein Publikum auch an Neues heranführen. Das Ihre wäre wohl jetzt überfordert, wenn Sie sich plötzlich experimenteller zeigen würden.
(lacht) Ja, da würden viele durchdrehen!
Andererseits drehen auch Jazzpuristen durch, wenn sie Ihre soziale Botschaft mit Hilfe eines DJs in Ibiza auf dem Dancefloor präsentieren.
Die Temptations taten dies, weshalb nicht auch ich? (lacht)
Oder wenn Sie mit der Schlagersängerin Helene Fischer ein Duett im deutschen Fernsehen singen. Dann fragen sich viele: «Was in aller Welt tut der da?»
Nun, ich kann Ihnen sagen, was in aller Welt er da tut: Wenn sich der Jazz in eine Ecke verkriecht, dann erweist er sich damit einen Bärendienst. Dann ist er tot. Für mich ist Musik ein soziales Instrument und deshalb ist es mir wichtig, meine Musik einem neuen Publikum zu präsentieren, das ansonsten nie im Leben nur in die Nähe eines Jazzalbums gehen würde und plötzlich Gefallen findet an einem Piano- oder Saxophonsolo. Das ist doch was Wunderbares. Jazz muss zwingend solche Öffnungen nutzen, ansonsten stirbt er. Garantiert.
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#-#SMALL#-#Aktuelles Album:
«Nat King Cole and Me» (Decca/Universal)
Gregory Porter (vocals), Terence Blanchard (trumpet tracks 4 and 15), Christian Sands (piano), Reuben Rogers (bass), Ulysses Owens (drums), Vince Mendoza (orchestra arrangements)
Gregory Porter – Live Jazz à la Villette 5. September 2017 »
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