10. Februar 2015

Björk und ihr Album «Vulnicura»

Wundheilung als kreativer Motor

Auf «Vulnicura» verwandelt Björk ihren Trennungsschmerz in grossartige Kunst. Und im März widmet das MoMA der Isländerin eine Retrospektive.

von Rudolf Amstutz
Hat sich aus dem schwarzen See befreit: Björk. Billd: © inez and vinoodh

«I’m a pop artist», sagt sie schlicht und einfach von sich. Natürlich hat damit Björk nicht unrecht. Ihre Platten verkaufen sich wie jene eines Popstars, der Hallen zu füllen imstande sind. Dennoch scheint es sinnvoller in Zusammenhang mit der Musik der 50jährigen das Wort «Artist» gross zu schreiben und die Bezeichnung «pop» mit einer dauerhaften Kleinschreibung zu behaften. 

Dass Menschen, die aus Island stammen, den Hang zu einer introvertierten Haltung besitzen und ein geradezu von Mystik begleitendes Verhältnis zu Natur und Umwelt besitzen, lässt sich auch bei Sigur Rós unschwer nach hören. Doch Björk präsentierte sich nach dem Ende ihrer Avant Popband The Sugarcubes als kompromisslose Schöpferin eines klanglichen und später auch visuellen Kosmos, der in der populären Musik seinesgleichen sucht.

Dabei entfernte sie sich immer mehr von gewohnten Pfaden, stellte die Hörgewohnheiten auf den Kopf und mutete ihrem Stammpublikum etwas zu, dass in kommerziellen Kreisen alles andere als beliebt ist: Je weiter sie sich inhaltlich in sich zurückzog, je komplexer ihr innerer Dialog wurde, je experimenteller auch die visuelle Umsetzung, umso mehr musste sich eine Hörerin, ein Hörer mit dem Resultat beschäftigen. Ohne Engagement seitens des Konsumenten schien der Eintritt in das Björksche Universum mit immer ausgeklügelteren Hindernissen besetzt zu sein. Ihre letzten Werke «Volta» (2007) und «Biophilia» (2011) sind der musikalische Beleg dafür.

Deshalb erstaunt es nun, dass Björk mit «Vulnicura», ihrem neunten Album, die Pforten zu ihrer Person weit aufgestossen hat. Entstanden während der Trennung von ihrem langjährigen Partner, dem New Yorker Künstler Matthew Barney, dokumentieren die neun Songs in chronologischer Reihenfolge das langsame Sterben der Zweisamkeit, die Verarbeitung des Verlustes und die Anstrengung am Ende des Tunnels doch wieder zum Licht zu finden.

Nie zuvor wendete sie sich mit klareren Worten zum Empfänger und inszeniert die Trennung als offene Operation am Herzen, als gläserne Therapie ihrer Seele. Hier wird nicht bis zur Unkenntlichkeit geflüstert wie einst auf «Vespertine», diesem leisen Album von 2001, das die Atmosphäre fragiler Musikdosen mit den modernen Sounds eines Laptops verband. Und sie schichtet ihre Statements mit Hilfe von Samples und Computern nicht Schicht um Schicht zum verwirrenden Stimmengewirr empor, wie sie dies 2004 meisterhaft auf dem a-capella Album «Medúlla» praktizierte.

Die Lieder auf «Vulnicura» ähneln einem opernhaften Rezital. Die Wörter werden oft schmerzlich in die Länge gezogen und auf ihre Silben reduziert, bevor Björk, die bereits als 11jährige eine perfekt geschulte Stimme besass, sich erneut elegisch mit dem Streichorchester verbindet und die Klage sich von einer Skizze zu einem opulenten Gemälde verwandelt. «you have nothing to give / your heart is hollow / i’m drowned in sorrows / no hope in sight of ever recover / eternal pain and horrors», offenbart sie an der düstersten Stelle des Albums, im zehnminütigen Song «Black Lake». Dabei wendet sie sich inhaltlich ganz klar an den aus ihrer Sicht Schuldigen, benutzt «You», um Matthew Barney direkt zu konfrontieren und singt von «We», wenn sie von der Familie spricht, immerhin ging aus der Beziehung auch die mittlerweile 13jährige Tochter Isadora hervor: «there is the mother and the child / then there is the father and the child / but no man and a woman / no triangle of love», singt sie in «Family».

Aus den zwei Begriffen Vulnus (Wunde) und Cura (Pflege) hat sie «Vulnicura» geformt und in der Tat ist die Platte eine klangliche Wundheilung und damit auch der beste Beweis dafür, dass der Seelenschmerz sich in einen kreativen Motor verwandeln lässt. Aber Björk wäre nicht Björk würde sie auf der musikalischen Seite nicht ihre enorme Erfahrung in die Waagschale werfen. In den fast dreissig Jahren ihrer Karriere suchte sie sich für die Umsetzung ihrer klanglichen Visionen stets kongeniale Partner und war mit ihnen meist voll im Trend oder oft gar der Zeit voraus. Waren dies in der Vergangenheit Trip-Hop-Pioniere wie Howie B oder Tricky, elektronische Tüftler wie der im Oktober 2014 verstorbene Mark Bell, Graham Massey oder 808 State oder aber Protagonisten des Hip-Hop wie Rahzel oder RZA, so kommt auf «Vulnicura» nun neben dem Briten The Haxan Cloak (aka Bobby Krlic) der 25jährige Venezolaner Arca (Alejandro Ghersi) als Produzent zum Zug, der auf Kanye Wests «Yeezus» mit grossartigen Einfällen begeisterte und letztes Jahr neben seinem eigenen Album «Xen» auch für FKA Twigs’ «LP1» verantwortlich zeichnete.

Verweigert sich «Vulnicura» in jenen Songs, die von der Zeit vor dem endgültigen Bruch berichten, noch ausgeprägten Beats und dominierenden elektronischen Tupfern, steigert sich der Anteil Arcas je näher sich die Chronologie der Emotionen der Trennung und der Aufarbeitung nähern. Zwar verrieten sie bereits zuvor, dass hinter dieser breit angelegten Elegie der Streicher ein anderes Leben existiert, doch erst das letzte Drittel des Albums offenbart die erlösende Läuterung der Künstlerin: «i am finetuning my soul / to the universal wavelength / no one is a lover alone / i propose an atom dance», singt Björk in «Atom Dance» und die gezupften Streicher verschmelzen mit elektronischen Versatzstücken zu einem schwebenden Walzer, zu dem sich in der Folge auch Antony Hegarty als tanzender Partner gesellt. Zuvor noch, in «Notget», fanden sich die Streicher in Konflikt mit der Elektronik, wurden von ihr beherrscht und befreiten sich mit aller Kraft ein letztes Mal. «Vulnicura» klingt am Ende aus mit störrischen Beats, wildgewordenen Samples und einer doppeldeutigen Botschaft: «Quicksand» heisst der Song und Björk verkündet: «when i’m broken / i am whole / and when i’m whole / i’m broken». Es ist ein letztes Statement eines durchwegs grossartigen Albums, das am Ende nebst der verkündeten Heilung die Narbe nicht verheimlicht, die bleiben wird.

PS: Eigentlich hätte «Vulnicura» erst Anfang März erscheinen sollen, parallel zu der grossen Björk-Retrospektive im Museum of Modern Art in New York (siehe Kasten). Da die Musik allerdings im Internet durchsickerte, wurde das Album via iTunes nun viel früher veröffentlicht (CD und Vinyl folgen am 8. März). Dass sie ihr zugänglichstes Werk seit «Debut» (1993) und «Post» (1995) ausserplanmässig der Öffentlichkeit präsentieren musste, scheint Björk nicht gross zu stören. Gegenüber der New York Times verriet sie, dass sie sich nun anderen Dingen zuwenden könne. Es sei wohl das Beste für sie und ihre Familie, jetzt könne man vorwärts schauen.

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Björk @ MoMA

Klaus Biesenbach, Chefkurator des Museum of Modern Art in New York, versuchte über ein Jahrzehnt Björk für eine Ausstellung zu gewinnen. Doch erst 2012 liess sich die Isländerin davon überzeugen. Björk ist bekannt und berüchtigt dafür, ihre visuellen Visionen konsequent umzusetzen – sei dies mit Hilfe von Videos oder live mit ausgefallenen Bühnenbildern und Kostümen. Im MoMA wird jedem einzelnen Album ein eigener Raum gewidmet sein. Zurzeit werden in Island noch mit einer 3D–360Grad-Kamera Bilder eingefangen, die den künstlerischen Kosmos für das Publikum auf eine völlig neue Art und Weise begehbar und damit erlebbar machen sollen. Dieses Ausstellungskonzept birgt natürlich Risiken, doch Björk untermauerte gegenüber der New York Times ihre künstlerische Haltung: «There’s obviously some risk involved. But if it’s not dangerous, it’s not worth doing. » Damit der Besuch für alle zum unvergesslichen Erlebnis wird, soll jeweils nur 100 Besuchern gleichzeitig Einlass gewährt werden. Wer also plant, zwischen dem 8. März und dem 7. Juni 2015 die Ausstellung in New York zu besuchen, tut gut daran, sich vorgängig ein Ticket zu sichern. Mehr Informationen unter www.moma.org. (ra)

MoMA: «Black Lake» Trailer » »

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#-#SMALL#-#Björk. Vulnicura. One Little Indian.

Auf iTunes erhältlich; CD und Vinyl ab 8. März 2015.

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