Paul Simon und sein neues Album «Stranger to Stranger»
Fernab jeglicher Nostalgie
Paul Simon könnte sich längst auf seinen Lorbeeren ausruhen. Doch der 74jährige New Yorker beweist auch mit seinem 13. Soloalbum «Stranger to Stranger» unbändige Lust auf neue Ideen.
von Rudolf AmstutzEs herrscht Wahlkampf in den USA und wer etwas auf sich hält, nutzt das reiche und vielfältige Musikangebot, um seine Botschaft zu unterstreichen und Wahlkampfauftritte zu vertonen. Der Republikaner Donald Trump entschied sich dabei für «Start Me Up» von den Rolling Stones, was ihm denn auch einen geharnischten Brief von Mick Jagger eintrug mit der deutlichen Aufforderung, jegliche Nutzung ihrer Songs in Zukunft zu unterlassen. Bernie Sanders dagegen, der hartnäckige, aber letztlich erfolglose Kontrahent von Hillary Clinton auf der demokratischen Seite, entschied sich für «America» von Simon & Garfunkel aus dem Jahre 1968. Nun mag dieser Song aus dem Album «Bookends» für einen Sozialisten und Alt-68er die passende patriotische Antwort auf Trumps Rock’n’Roll sein, doch Sanders hätte sich den nostalgischen Verweis sparen können, wenn er bloss auf das Erscheinen von «Stranger to Stranger» gewartet hätte.
Denn Paul Simon macht auf seinem 13. Soloalbum gleich in den beiden ersten Songs klar, was er von den heutigen kapitalistischen und politischen Verhältnissen hält. Er tut dies selbstverständlich nicht im Stile alter Protestsongs, sondern wie von ihm gewohnt mit Schalk, Verve und einer Prise Weisheit, die er sich als mittlerweile 74-Jähriger durchaus leisten kann.
In «The Werewolf» singt er: «Life is a lottery / A lot of people lose / And the winners, the grinners / With money-colored eyes / Eat all the nuggets / Then they order extra fries» und im folgenden Song «Wristband» verführt er den Hörer mit einer zunächst witzigen Geschichte, in der er hinter sich die Türe zum Bühnenbereich zufallen hört, worauf ein Türsteher ihm keinen Einlass mehr gewährt, weil er kein Armband trägt, dass ihn als VIP kennzeichnet. In der letzten Strophe hebt er den Song aus den Angeln und macht ihn zum sozialen Statement: «The riots started slowly / With the homeless and the lowly / Then they spread into the heartland / Towns that never get a wristband (...) / And if you don't have a wristband / Then you can't get through the door».
Das sind deutliche Kommentare zum Zeitgeschehen, die auch Bernie Sanders gefallen werden. Doch letztlich ist bei Paul Simon der Inhalt seiner Lieder nur die Hälfte dessen, was einem geboten wird. Simon, und dies belegt «Stranger to Stranger» einmal mehr, ist ein Klangtüftler, ein Perfektionist auf der Suche nach der perfekten Balance zwischen Form und Inhalt. Das tragende Element des Albums sei der Klang, erklärte Simon gegenüber der New York Times. «Wir leben in einer Zeit, in der der Klang unser Hören bestimmt und so habe ich Quellen genutzt, die mich interessieren. In dieser Hinsicht unterscheide ich mich nicht wesentlich von den Hip-Hop Guys wie Kanye West oder Kendrick Lamar.»
Und so beginnt das Album mit einem einzigen «Boing», generiert mit Hilfe eines indischen Instruments namens Gopichand, das aus zwei Bambusstäben und einer einzigen Saite besteht und tatsächlich an das Heulen eines Wolfes erinnert. Auf «Wristband» ist das Klatschen und das Stampfen von Flamenco-Tänzern zu hören, begleitet von einem Basslauf, der sich an der Rhythmik einer afrikanischen Trommel orientiert. Mit Hilfe des italienischen Elektronik-Produzenten Clap! Clap!, auf den ihn sein Sohn aufmerksam machte, wurden die Aufnahmen dann zeitlich verlangsamt und bearbeitet. Auf «Street Angels» hört man einzig unterlegt mit einem Beat ein Sample des Golden Gate Quartets – vor- und rückwärts abgespielt und ihm letzten Lied «Insomniac’s Lullaby» benutzt er ein Chromelodeon und Wolkenkammer-Schüsseln, Instrumente, die einst ein anderer prominenter Klangtüftler, Harry Partch, erfand und die dem Schlaflied des Schlaflosen gemeinsam mit akustischer Gitarre und den Strassengeräuschen New Yorks die nötige fiebrige Atmosphäre verleihen.
Paul Simon, von vielen fälschlicherweise reduziert auf seine Vergangenheit als Folkbarde im Greenwich Village der 1960er Jahre und als Begründer der World Music mit «Graceland», verblüfft mit «Stranger to Stranger» nicht nur des klanglichen Kosmos wegen, den er ausbreitet, sondern auch durch seine trotz des Alters glasklaren jungenhaften Stimme, die sich seit «The Sound of Silence» nicht wesentlich verändert hat.
Doch der komplexe und dennoch verführerische, kammermusikalische Groove von «Stranger to Stranger» ist eben auch ein weiterer Beleg für Simons Drang sich jenseits von Nostalgie vorwärts zu bewegen. Jedes seiner mittlerweile 13 Soloalben (siehe auch Kasten) war immer mehr als nur die Summe des Vorangegangenen: Vertraut im Inhalt und stets überraschend in der Form, dabei immer alterslos und voller Ironie. «Stranger to Stranger» dauert trotz seiner schier unendlichen Fülle an Klängen und Ideen nur 37 Minuten und wenn Paul Simon seinen Rhythmus aufrecht erhält, wird er sich erst wieder in vier oder fünf Jahren mit einer neuen Platte melden. Dann wird er 78 Jahre alt sein. «We’ll eventually all fall asleep», singt der Ruhelose in «Insomniac’s Lullaby». Hoffentlich noch lange nicht.
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#-#SMALL#-#Paul Simon. Stranger to Stranger. Concorde / Universal
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«Wristband» – Live @ A Prairie Home Companion »
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