1. September 2015
Christian Marclay, «Action» im Aargauer Kunsthaus
Das Laute im Stillen feiern
Zum ersten Mal sind die Lautmalereien des schweizerisch-amerikanischen Künstlers Christian Marclay in einer umfassenden Ausstellung zu entdecken: «Action» im Aargauer Kunsthaus ist ein spannender Spaziergang, der mit unseren Wahrnehmungen spielt.
von Rudolf Amstutz«Ich hatte völlig vergessen, dass in der Schweiz wohl jede Band einen anständigen Übungsraum besitzt». Christian Marclay lacht. Er spricht von seinem Beitrag zu «Tabula Rasa», der Schweizerischen Plastikausstellung in Biel im Jahre 1991, wo unter dem Titel «Ex Aequo» am Rande von St. Imier im Berner Jura 25 Baucontainer 25 Künstlern zur Verfügung gestellt wurden. Marclay liess seinen Raum leer, einzig an der Wand angebracht das Inserat, wie es in den lokalen Zeitungen den Container als kostenlosen Übungsraum für regionale Bands anbot. Das Angebot blieb ungenutzt und die von ihm konzipierte überdimensionale Musikdose blieb stumm.
Darüber kann der heute 60jährige lachen. Auch, weil für ihn, den Musiker und Performer, den Lautmaler und Klangskulpteur, Stille seit je eine wichtige Rolle gespielt hat. «Es hat mich schon immer interessiert, wie ich Leute dazu bringen kann, über Sound nachzudenken, ohne ihn wirklich zu benutzen. Und so wie in St. Imier die fiktive Band in den Ohren der Containerbesucher unweigerlich erklang, so hört man auch in der aktuellen Ausstellung «Action» allerlei Töne. Töne allerdings, die man nur mit dem Auge sieht.
#-#IMG2#-#Madeleine Schuppli, die Direktorin des Aargauer Kunsthauses, hat für diese thematische Ausstellung bereits zum zweiten Mal mit Marclay zusammengearbeitet. 2004, damals noch Leiterin des Kunstmuseums in Thun, präsentierte sie eine umfassende Retrospektive des Weltenbürgers, der von sich sagt: «Ja, ich bin Schweizer, aber noch so viele Dinge mehr», und damit meint, dass er die letzten dreissig Jahre einer der Hauptprotagonisten der New Yorker Downtown- und Kunst-Szene war und heute vor allem in London lebt und arbeitet.
Dass sich Marclay in den letzten Jahrzehnten immer wieder der Onomatopoesie, der Lautmalerei, verschrieben hat, die nun mit «Action» erstmals umfassend in einem musealen Kontext präsentiert wird, hat sowohl konzeptionelle wie praktische Gründe. Konzeptionell, weil Marclay in allen seinen Arbeiten versucht, die Wahrnehmungsformen zu verbinden und damit das Sichtbare hör- und das Hörbare sichtbar werden zu lassen. Zudem – wie er schmunzelnd erklärt – blieb ihm, dem Absolventen der École Supérieure d’Art Visuel in Genf, in frühen Jahren nichts anderes übrig: «Ich war damals meist Teil von Gruppenausstellungen. Und wenn da einer ein klingendes Objekt hatte, wurde dies meist im Keller oder draussen platziert. Heute gibt es kaum eine Museumsausstellung, in der nicht irgendetwas klingt. So gesehen, kontere ich darauf mit konsequenter Stille.»
«Action» zeigt wie vielfältig Marclay in seiner Karriere mit der Lautmalerei gespielt hat. In der Summe sind diese stillen Repräsentanten von Klang unendlich dynamisch. So sind die Comics-Collagen schrill und laut, wenn der Künstler die Bilder auf deren akustische Ebene reduziert und typografisch exzessive Ausdrücke wie «GRAAHRR!», «THRAK», «BWHAMM» oder «KA-BOOM!» von ihrer Geschichte getrennt überdimensioniert und konzentriert auf das Auge des Betrachters loslässt. In der Fotoserie «Zoom Zoom», die von Marclay auf seinen zahlreichen Reisen stets ergänzt wird, zeigt er «klingende» Markenprodukte: ein Reinigungsmittel namens «Flash», eine Zeitschrift mit dem Namen «Crash», ein Getränk, das «Fizz» heisst oder ein Parfum namens «Joop». Einen Schritt weiter geht Marclay gar mit seinen jüngsten Malereien, in denen er auf humoristische Art und Weise den Faktor Zeit einbindet, in dem er die Comic-Ausdrücke benutzt, um die Geräusche des malerischen Aktes festzuhalten, die sich beim Spritzen, Verwischen oder Streichen von Farben ergeben. Es ist dies die Vergänglichkeit des kurzen Geräusches in Leinwand und Farbe für die Ewigkeit festgehalten.
«Der Faktor Zeit und wie sich Dinge über einen gewissen Zeitraum verändern, hat mich immer interessiert», sagt Marclay und weist auf das im Zentrum der Ausstellung geschaffene Teehaus hin, in dem die Rahmenveranstaltungen zu «Action» stattfinden. Unter anderen die Vertonung der langen Schriftrolle namens «Manga Scroll», einer Abfolge von lautmalerischen Ausdrücken aus japanischen Comics, die von Sängerinnen zum Klingen gebracht werden. Das Teehaus wird je nach Anlass mit anderen Bildern geschmückt und dies erinnert Marclay wiederum an sein beliebtestes Arbeitsobjekt, die Schallplatte. «Was mich fasziniert sind die gerollten Bilder, die die Japaner bei einer Zeremonie hervorholen und dann wieder einrollen. Es ist wie bei Schallplatten. Für einen bestimmten Anlass nimmst du jenes Album hervor und dann an einem anderen Anlass ein anderes. Es ist dies die Idee, dass Kunst für einen ganz bestimmten Moment geschaffen wurde. Das widerspricht der gängigen westlichen Vorstellung, dass wenn wir ein Bild an eine Museumswand hängen, dies für die Ewigkeit sei.»
In einem Video, das in der Ausstellung zu sehen ist, sieht man den jungen Künstler, wie er in Sekundenschnelle eine Schallplatte verzehrt. Auch dies eine Entgegnung gegen das scheinbar ewig Existierende. Marclays erste Schallplatte, die er als Musiker veröffentlicht hatte, besass weder ein Cover noch eine Schutzhülle. «Eine Aufnahme ist etwas, das sich über die Zeit nicht mehr verändert. Ich aber wollte, dass sich diese Schallplatte unweigerlich verändern muss», erklärt er. Der Höhepunkt in Marclays Auseinandersetzung mit Zeit war sicherlich die monumentale Filmcollage «The Clock» von 2010, die 24 Stunden dauert und aus Hunderten von Filmsequenzen besteht. So gegensätzlich diese Arbeit scheinbar zu den gezeigten Exponaten in «Action» zu stehen scheint, widerspiegelt sie sich doch in Aarau wieder, denn Marclays Arbeiten positionieren stets das Flüchtige zu einem neuen grossen Ganzen, das unsere Wahrnehmungen ebenso herausfordert wie unsere eigenen Positionen.
Ein Werk von Marclay ist immer auch eine Reise durch Zeit und Raum, ein erkenntnisreicher Spaziergang, der in seiner Ernsthaftigkeit auch den ironischen Bruch stetig bereit hält, aber auch einer – wie im Falle von «Action» – uns das letzte Kapitel der Vergänglichkeit, den Tod, nicht vorenthält: «Silence» heisst die Serie und zeigt in grossformatigen Werken ein beleuchtetes «Silence»-Schild, das sich Marclay aus einer frühen Version der «Electric Chair»-Serie von Andy Warhol geborgt hat. Es ist der stumme Abspann zu einer Ausstellung, die das Laute im Stillen feiert…bis zu dessen Ende.
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#-#SMALL#-#Aargauer Kunsthaus. Bis 15. November 2015.#-#SMALL#-#
#-#SMALL#-#Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Christian Marclay. Action. Herausgegeben von Madeleine Schuppli, Aargauer Kunsthaus. Mit zahlreichen Beiträgen und Abbildungen. Verlag Hatje Cantz. €45 / CHF 50#-#SMALL#-#
#-#SMALL#-#Liste der Rahmenveranstaltungen »#-#SMALL#-#
#-#SMALL#-#«Action» – Rundgang (art.tv) »