23. April 2016

Prince, 1958 – 2016

Nicht von dieser Welt

Abgang eines Gottbegnadeten: Zum Tod von Prince Rogers Nelson.

Bild: © Universal Records

Die City Hall in San Francisco purpur erleuchtet, das Empire State Building ebenso und auf dem Cover des Magazins The New Yorker regnet es purpurne Tränen. MTV zeigt plötzlich nach Jahren der Abstinenz wieder stundenlang Musikvideos und in Minneapolis gibt es auf allen Radio-und Fernsehstationen nur noch Sonderprogramme. So surreal es auch 48 Stunden danach noch erscheinen mag, so ist es doch wahr. Der Prinz von Minneapolis ist tot. Völlig unerwartet und dies im zarten Alter von 57.

Der Tod ist immer ein Skandal, das wussten schon Oscar Wilde und Elias Canetti, doch als ob es noch nicht genügend Beweise dafür gäbe, nun dies. Mit Prince verliert die Musikwelt den wohl talentiertesten Musiker der Gegenwart, einen Gottbegnadeten, ein Genie, dessen Wege nicht immer erfolgreich waren, oft gar auf Unverständnis stiessen, aber einer, der in regelmässigen Abständen immer wieder Tausenden von Menschen erleuchtende, bewegende Momente bescherte.

Es ist der stille Abgang eines Utopisten, der mit «Dirty Mind», seinem dritten Album, sein eigenes Genre erfand. Prince war immer wie Prince, wenn auch die Vergleiche mit Michael Jackson und James Brown in regelmässigen Abständen bemüht wurden. Prince war ein Vollblutmusiker, einer, der sämtliche Instrumente beherrschte und mit deren Hilfe er stilistische Schubladen zerstörte, um auf den Trümmern sein Werk zu errichten. 

Er tat dies, in dem er seine Rasse und sein Geschlecht in Frage stellte, gesellschaftliche Normen anprangerte und die Provokationen alchemistisch vertonte. Anfang der achtziger Jahre kannte man Punk, Rock, Pop, Soul, Funk, Blues und Jazz als brav voneinander getrennte musikalische Ausdrucksformen, aber dies alles ineinanderverwoben, zu einem fiebrigen Gebräu gemischt und als groovendes Konglomerat provokativ den Leuten vor die Füsse geworfen, sowas gab es zuvor nicht.

Und er tat dies nie in Selbstherrlichkeit, auch wenn ihm dieser Vorwurf immer wieder angedroht wurde. Der Pfau, der mit lasziven Tanzschritten die Sexualität und den Tabubruch auf der Bühne zelebrierte, war in Wirklichkeit ein besessen agierender Kreativer, der mit seiner Musik nicht nur stilistische Grenzen sprengen, sondern eben auch die soziokulturelle Engstirnigkeit beseitigen wollte. Für Tipper Gore, die Ehefrau des damaligen US-Senators und späteren Vizepräsidenten Al Gore, blieb die künstlerische Substanz und deren gesellschaftliche Botschaft dahinter verborgen, wollte sie doch Prince seiner expliziten Texte wegen auf einen Index setzen lassen.

Dass Prince immer wieder Opfer von Missverständnissen wurde, ist teilweise auch ihm verschuldet. Sein unnachahmliches Talent aus der rohen Musik seiner Anfänge in der Folge Popperlen zu fabrizieren, liess ihn die Charts hochschnellen. Mit Alben wie «Purple Rain» (1984), «Parade» (1986) oder seinem Meisterwerk «Sign O’ The Times» (1987) outete er sich als einer, der sich mit den grössten Pop-Komponisten, mit Brian Wilson oder dem Duo Lennon/McCartney, vergleichen lassen durfte. Von da an war Prince im Mainstream angekommen und damit in jener Gegend, in der zwar viel Geld zu holen ist, aber auch die Erwartungshaltung des Popkonsumenten zum Damoklesschwert werden kann.

Nach dem Bau seiner Paisley Park Studios in Minneapolis, seiner Heimatstadt, die er nie verliess, zog er sich vermehrt in die Ruhe und die Einsamkeit seines Studios zurück. Er prangerte die Versklavung der Künstler durch die Plattenfirmen an und ersetzte für mehrere Jahre seinen Namen durch ein unaussprechliches Symbol. Das Internet behagte ihm nicht, weil seine Liebe stets dem Albumformat galt und in Zeiten des digitalen Downloads Musik zum blossen Gebrauchsgegenstand verkam.

So kam es, dass er für viele ein Künstler der achtziger Jahre blieb, weil er kommerziell nie mehr an jene Zeiten anknüpfen konnte. Kein Wunder also, dass zahlreiche Medien ihn in ihren Nachrufen als Popsänger bezeichnen, ausgerechnet ihn, den vielleicht komplettesten Musiker der Neuzeit, der unzählige seiner Alben im Alleingang eingespielt hat und wie kein Zweiter live zu begeistern wusste. An den Konzerten wurde einem immer wieder gewahr, wie ausserordentlich, wie einzigartig er mit seiner musikalischen Vision war. 

Während seiner «Lovesexy»-Tournee gastierte er für vier Konzerte in Folge im «Bercy» in Paris und so durchchoreografiert diese Auftritte auch waren, so gänzlich unterschieden sich alle musikalisch. Da gabs psychedelisch-progressive Exkursionen, ein von einem wild taumelnden Jazz getränktes Donnergrollen und tags darauf einen groovenden Langstreckenlauf mit Heavy-Metal-Gitarren.

Nicht nur wegen seiner Ausnahmeerscheinung erschüttert der plötzliche Abgang dieses Mannes, sondern aben auch, weil er «live», also lebendig, so präsent, so verführerisch war mit seiner Kunst. Unvergessen auch jener Moment im Zürcher Kaufleuten, als die Spitze seiner Stiefel auf Augenhöhe nur Zentimeter entfernt vor dem eigenen Gesicht auftauchten, er sich hinab beugte und dann mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern die Gitarre aufheulen liess und zu einem Solo ansetzte, das die Nackenhaare noch Stunden später Spalier stehen liess. Er war wie nur wenige in der Lage, Konzerte physisch erfahrbar zu machen und Menschen zu Orten hinzuführen, in denen für einen Augenblick alles an einem einzigen Punkt zusammenfällt, um den Blick aufs Wesentliche zu öffnen.

Und nun soll es diese Momente nie mehr geben. Der Tod ist ein Skandal, wie schon mehrfach in diesem jungen Jahr bewiesen. Und wie David Bowie schien auch er, dieser kleingewachsene und doch so übergrosse Mann aus Minneapolis wie «A Man Who Fell To Earth». Nun hat er die Erde verlassen. Der Gottbegnadete ist nicht mehr. Der Prinz ist tot. Lang lebe der Prinz!

Rudolf Amstutz


» empfehlen:
das projekt hilfe/kontakt werbung datenschutz/agb impressum