10. Dezember 2014

Interview mit Boris Blank

«Ich folge den Bildern, die ich sehe, höre und rieche»

Ihn näher vorzustellen würde bedeuten, Eulen nach Athen zu tragen: Boris Blank. Die Pause, die er und Dieter Meier sich als Yello gegönnt haben, mündete in zahlreiche Nebenaktivitäten. Letztes Jahr lancierte Blank die App «Yellofier», Anfang 2014 veröffentlichte er «Convergence», ein gemeinsames Projekt mit der Sängerin Malia, und nun folgt mit «Electrified» eine Werkschau unveröffentlichter Tracks aus vier Jahrzehnten. TheTitle hat sich mit dem 62jährigen Elektronikpionier, der sich als klingender Maler bezeichnet, ausführlich unterhalten.

Interview: Rudolf Amstutz
© Darius Ramazani

Boris Blank, warum haben Sie sich gerade jetzt entschieden, mit «Electrified» eine Zusammenstellung unveröffentlichter Tracks aus den letzten vier Jahrzehnten zu veröffentlichen?

Vor drei Jahren habe ich mein Studio redimensioniert, indem ich all die alten stromfressenden Maschinen entsorgte, die sich über die Jahre angesammelt hatten. In dieser Zeit besuchte mich Ian Tregoning, unser Toningenieur vergangener Tage und guter Freund. Er holte Yello damals von Ralph Records in San Francisco zu DO IT Records nach London. Als er all die Kisten mit den Hard Disks aus fünf Generationen Computergeschichte und den Musikkassetten und Betamax-Bändern sah, meinte er: «Hey Boris, there are so many treasures here, we should do something with it.»

Er ist also der Initiant des Projektes?

Ja, ich selber wäre nicht auf die Idee gekommen. Ich verstehe mich eigentlich nicht als Musiker im herkömmlichen Sinne, sondern eher als Maler, der pausenlos Klanggebilde zeichnet. Für das nächste Yello-Album existieren bereits wieder rund 80 Tracks, von denen letztlich dann aber nur deren 14 veröffentlicht werden. Der Rest bleibt dann wieder in diesen Ordnern zurück. Ich vergleiche das mit einem Eichhörnchen, das seine Nüsse vergräbt und sie dann irgendwann wieder hervorholt. Auf «Electrified» sind solche Nüsse zu hören. 

Das muss ein spannender Prozess gewesen sein, diese alten Sachen neu zu hören.

Ja. Ich war vor allem über die Tonqualität des Materials verblüfft. Selbst uralte Chromdioxyd-Kassetten klangen ziemlich gut. Ebenso erstaunt war ich, wie homogen sich meine alten Sachen zum neuen Material verhalten. Deshalb haben wir uns bei der Zusammenstellung von «Electrified» auch gegen eine Chronologie entschieden und die Stücke komplementär zusammengesetzt.

Sie wirken nun beim Anhören in der Summe wie ein einziges grosses Stück.

Genau.

Für die limitierte Erstausgabe von «Electrified» hat Ian Tregoning ein Projekt auf Kickstarter lanciert. Muss nun selbst ein so illustrer Name wie Boris Blank auf Crowdfunding zurückgreifen?

Es gab zwei Gründe dafür. Erstens ist es völlig illusorisch, dass heute eine Plattenfirma ein solch aufwändig gestaltetes Luxusprojekt finanzieren würde. Im Gegensatz zu der herkömmlichen CD/DVD-Version befinden sich in der limitierten Auflage zusätzlich drei in höchster Qualität gefertigte Vinylschallplatten und eine Musikkassette. Zudem ist das Ganze sehr komplex verpackt. Die Herstellung ist dermassen teuer, dass eine Plattenfirma nichts daran verdienen würde. Zum Zweiten hat das Crowdfunding den Vorteil, dass man ein direktes Feedback hat: ist das Interesse gross genug, kommt auch das Geld dafür zusammen.

War die Arbeit an «Electrified» auch eine Art Vergangenheitsbewältigung?

Als Vergangenheitsbewältigung würde ich es nicht bezeichnen, aber das Wiederhören meiner ganz frühen Zeit in der Roten Fabrik in Zürich, also jene vor der Yello-Ära, hat mich wieder in diese Epoche zurück versetzt, in der Freiheit und pure Lust existierten. Das heisst jetzt nicht, dass sich Yello wie ein Korsett anfühlt. Ganz und gar nicht. Aber damals war das Yello-Kostüm noch nicht geschneidert. Letztlich musste mich Ian davon überzeugen, diese ganz alten Sachen für das Album zu berücksichtigen. Für mich entlarven sie eine Naivität, die aber letztlich auch Teil meiner Karriere ist.

Egal aus welcher Zeit die Stücke stammen, man hört sofort: Das ist Boris Blank. Ist das eine bewusst erarbeitete Handschrift oder reflektiert die Musik einfach den Menschen Boris Blank?

Ich wurde das schon oft gefragt und ich kann nur Vermutungen anstellen, weshalb die Leute bereits nach zwei Takten wissen, wer hinter diesen Sounds steckt. Es ist auf jeden Fall keine Absicht dahinter. Ich kann weder Noten schreiben, noch habe ich jemals gelernt professionell Musik zu machen. Ich weiss einfach, dass ich eine ausgesprochene Affinität zu Geräuschen habe. Es ist auch auffallend wie viele Kinder meine Musik mögen. Es muss also auch etwas Spielerisches darin verborgen sein. Es scheint also ein verstecktes Muster zu geben, eine Art DNA oder Fingerabdruck, über die ich keine Gewalt ausübe.

Es ist in der Tat faszinierend, dass man nach all den Jahren hinter diesen Klängen immer noch das staunende Kind entdeckt, das in Ihnen zu stecken scheint. 

Das freut mich natürlich besonders.

Zudem hat es diese Prise Humor, das zwinkernde Auge der Selbstironie, die das Ganze relativiert und auch mit ein Grund ist, weshalb die Musik eine Art Zeitlosigkeit ausstrahlt.

Auch heute noch nach all den Jahren verspüre ich jeden Morgen die Lust etwas zu machen. Das hat natürlich damit zu tun, dass ich das Privileg habe, an meiner Musik zu basteln. Es ist irgendwie wie bei einem Kind, das sich freut, in die Spielgruppe gehen zu dürfen, um Bauklötze aufeinanderzutürmen, bis sie zusammenfallen. Zugleich will man auch imponieren. Man will Dinge tun, an denen andere Gefallen finden. So wie der Pfau ein Rad dreht, um die Aufmerksamkeit des Weibchens für sich zu gewinnen, versuche ich meine innere Schönheit nach aussen hörbar zu machen (lächelt). 

Es ist wohlbekannt, dass Sie ein Perfektionist sind. Das widerspricht eigentlich dem Spielerischen.

Ich bin erst Perfektionist, wenn es um das Abmischen der Sounds geht. Zuvor bin ich Chaot und lasse der Kreativität freien Lauf. Anschliessend gilt es aber das Spielzimmer aufzuräumen, um das Resultat transparent werden zu lassen. Das ist dann in der Tat nur noch akribische Fleissarbeit. Ich bin der Überzeugung, dass der Hörer nicht nur eine zweidimensionale Schallwelle verdient. Er soll eintauchen können und sich inmitten des Klangs wiederfinden.

Ihre Musik strotzt von Verweisen. Manchmal erinnert sie an Série noire, dann klingt sie wie Tex Avery und dann wieder wie ein absurdes Road Movie. Sind Sie ein kultureller Staubsauger, der sich all die umliegenden Einflüsse zunutze macht?

Ich gehe ja nicht mit Scheuklappen durchs Leben. Zudem bin ich überzeugt, dass man auch mit den Ohren sehen kann. Wenn man dazu die Augen schliesst, entstehen durch die Musik innere Bilder. Ich hatte immer schon diesen Drang, verschiedene Stimmungen in Klänge zu verwandeln. Nehmen Sie nur all die Gerüche, die in uns Assoziationen wecken. Plötzlich findet man sich gedanklich an einem anderen Ort wieder. Ich bin kein Musiker, der nach symphonischen Mustern arbeitet oder gar wie ein Popstar einen Hit nach dem anderen produzieren will, ich folge einfach den Bildern, die ich sehen, hören und riechen kann.

Stimmt es, dass Sie in der Schule eine Strafaufgabe aufgebrummt bekamen, weil sie unentwegt mit ihren Fingern klopften und so den Unterricht störten?

Das ist so. Im Deutschunterricht habe ich immer auf die Bank geklopft. Auf jeden Fall sagte der Lehrer damals plötzlich: «Blank, bis morgen zwei Schreibmaschinenseiten zum Thema: «Klopfzeichen – Verständigung der Primitiven». Und ich habe dann im Aufsatz meine Dankbarkeit ausgedrückt, dass ich endlich jemanden gefunden habe, der auf meine Klopfzeichen reagiert. Ergo müsse er, der Lehrer, auch ein Primitiver sein (lacht). Er hat es glücklicherweise mit Humor genommen. Ich trommle übrigens auch noch heute auf sämtlichen Alltagsgegenständen rum, weil ich einfach hören will, wie sie klingen. Mit meiner Smartphone-App «Yellofier» kreiere ich mit diesen Geräuschen dann liebend gerne dadaistische Sounds. 

Mit «Yellofier» ist nun jede und jeder in der Lage, aus Geräuschen Sounds zu produzieren. Das zeigt die enorme technische Entwicklung auf, wenn man bedenkt, dass zu Beginn Ihrer Karriere ein Revox-Tonbandgerät das Mass aller Dinge war. Kommt da auch ein bisschen Wehmut auf?

Nein, nie. Ich habe keine nostalgische Ader. Die meisten analogen Geräte habe ich – wie gesagt – mittlerweile verkauft. Ein paar habe ich behalten, etwa den Arp Odyssey, weil da mein Herz daran hängt. Aber ansonsten habe ich seit meinen Anfängen an den technologischen Fortschritt geglaubt und arbeite heute vor allem mit vielen Plugins, die verbrauchen im Gegensatz zu den alten Geräten auch wesentlich weniger Strom.

Aber die digitale Revolution hat ja nicht nur ihre positiven Seiten. Die Hörgewohnheiten haben sich in den letzten Jahren enorm verändert. Erstens wollen viele für Musik gar nichts mehr bezahlen und zweitens scheint die Musik heute an der Anzahl der benutzten Kopfhörer gemessen doch eher als klangliche Abschirmung gegen Aussen genutzt zu werden.

Das stimmt. Ich schiebe eine gewisse Verantwortung auch an die Medien – vor allem an die Radiosender – ab, die nur noch den Mainstream bedienen und damit nur Belanglosigkeiten transportieren. Vielleicht haben sie Angst, der Zahnarzt könnte bei der Behandlung mit der Hand ausrutschen, wenn sie Musik mit mehr Ecken und Kanten spielen würden. (lacht) Das Radio hat seine Zuhörerschaft zur völligen Gleichmässigkeit erzogen. Obwohl überall und ständig Musik läuft, hat man zum Hören keine Zeit mehr. Ich muss allerdings auch erwähnen, dass 80 Prozent der Yello-Gefolgschaft immer noch physische Tonträger kauft. Aber dass es uns noch gibt, verdanken wir vor allem der Tatsache, dass ein Song wie «Oh Yeah» auch heute noch gerne für Werbung benutzt wird.

Die kommerzielle Verwertung dieses Evergreens erlaubt es Ihnen also, die Unabhängigkeit und die kreative Freiheit zu bewahren?

Im Prinzip ja. Obwohl es Yello im Gegensatz zu anderen Bands ja gut geht. Gerade in Ländern wie Russland, Polen, Australien oder Neuseeland verkaufen sich Yello-Alben immer noch sehr gut. Und «Yellofier» verkauft sich etwa nirgendwo besser als in Kirgisien. Sehr seltsam. (lacht)

Was hören Sie persönlich gerne?

In letzter Zeit oft klassische Musik. Pierre Boulez zum Beispiel, auch die von ihm dirigierten Sachen. Der besitzt ein unglaubliches Feingefühl. Schostakowitsch mag ich. Rachmaninow auch. Und Ligeti. Musik mit Herz und Gefühl, wo man das Engagement dahinter förmlich spüren kann. Für mich hat dies viel mit Authentizität zu tun. Im Gegensatz zu all diesen jungen Geigern und Pianisten, die da hochgejubelt werden, obwohl sie nichts weiter als Turnübungen auf ihren Instrumenten absolvieren. Da fehlt mir dann die Seele. In der aktuellen elektronischen Szene mag ich Caribou sehr. Auch auf Soundcloud entdecke ich immer wieder grossartige Talente, die sich im Underground tummeln und das Tageslicht noch nicht wirklich erblickt haben, weil die Medien diese Ecken heute nicht mehr ausleuchten. 

Dann können wir nur auf bessere Zeiten hoffen.

Ich glaube, dass es wieder besser werden wird. So wie in den 1980er Jahren. Das war eine Zeit, die es erlaubte, dass eine Band wie Yello überhaupt eine Chance erhielt. Wir würden heute nicht mehr entdeckt werden, da bin ich sicher.

Aber zum Glück wurdet ihr entdeckt. Wie geht es weiter mit Yello?

2014 war das Jahr der Solo-Veröffentlichungen. 2015 aber verlassen wir diese Nebenpfade wieder und kehren zurück auf den Good Old Highway namens Yello (lächelt).

#-#IMG2#-##-#SMALL#-#Boris Blank. Electrified (2CD/1DVD). Universal.

Malia & Boris Blank. Convergence. Universal.

Boris Blank Soundcloud »

Yellofier Website »

Boris Blank - «Electrified» (Albumplayer) »

Boris Blank - «The Time Tunnel» (Video) »

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