DOSSIER: AMERIKA QUO VADIS? – «Black Power Mixtape 1967–1975»
«Changing Attitudes»
Der lange Weg zu einem schwarzen Präsidenten: der schwedische Dokumentarfilm «Black Power Mixtape 1967–1975» zeigt den militanten Bürgerrechtskampf in beeindruckenden Archivaufnahmen. Und ein kürzlich geschehener Zwischenfall im US-Repräsentantenhaus unterstreicht, dass die Errungenschaften jener Zeit immer wieder attackiert werden.
Von Rudolf Amstutz#-#QUOTE#-#«When I travel around the country, a lot of people remark on how inspiring seeing an African-American president or an African-American first lady must be to black boys and girls, how it must raise their sense of what's possible in their own lives. That's hugely important – but you shouldn't also underestimate the fact that there are a whole bunch of little white girls and white boys all across the country who just take it for granted that there's an African-American president. That's the president they're growing up with, and that's changing attitudes.»
Barack Obama
(US-Magazin «Rolling Stone», 10. Mai 2012)#-#QUOTE#-#
Seit fast vier Jahren hat die USA mit Barack Obama einen schwarzen Präsidenten und in der Wahrnehmung der meisten Amerikanerinnen und Amerikaner ist diese Tatsache längst zur Gewohnheit geworden. Nur ist mit dieser historischen Wahl die Vergangenheitsbewältigung noch längst nicht abgeschlossen. Der Weg zur Gleichberechtigung war ein langer und steiniger Weg, und er mag als geschriebenes Gesetz abgeschlossen sein – doch im Alltag zeigt sich immer wieder, wie fragil sich das Verhältnis präsentiert.
Auf politischer Ebene zeigte sich dies jüngst, als im Repräsentantenhaus der republikanische Abgeordnete Paul Broun einen Vorstoss lancierte, mit dem er die Finanzhilfe zur Durchsetzung des Voting Right Acts von 1965 abschaffen wollte. Er tat dies um zehn Uhr abends Washingtoner Ortszeit mit dem Hintergedanken, dass die übermüdeten und längst nicht mehr vollzählig anwesenden Volksvertreter den wahren Stellenwert seiner Absicht nicht mehr erkennen würden.
Noch während er sprach, machte sich John Lewis bemerkbar. Lewis, demokratischer Abgeordneter, wie Broun aus Georgia, ist eine der letzten lebenden Legenden der Bürgerrechtsbewegung. Er marschierte an der Seite von Martin Luther King und wurde 1965 von Polizisten in Selma, Alabama lebensgefährlich verletzt. Lewis war von Brouns Vorstoss dermassen aufgebracht, dass seine Stimme zitterte, als er den Kollegen massregelte: «People died for the right to vote! Friends of mine, colleagues of mine!» Auch wenn anschliessend Broun seinen Vorstoss zurückzog, zeigt der Vorfall doch, wie oft Menschen unbedarft mit historischen Errungenschaften umgehen, für die andere ihr ganzes Leben gekämpft haben.
Und es droht auch vergessen zu gehen, dass sich nach dem kampflosen Widerstand eines Martin Luther King der schwarze Widerstand zu einer militanten Bewegung entwickelte, die in der amerikanischen Geschichtsschreibung gerne marginalisiert wird. Die politischen Errungenschaften (Präsident Lyndon B. Johnson unterzeichnete 1964 den Civil Rights Act) wurden überschattet durch die Ermorderungen von Malcolm X (21. Februar 1965), Martin Luther King (4. April 1968) und Robert Kennedy (6. Juni 1968). Was danach folgte, war eine politische Unruhe, basierend auf der Ungeduld, dass sich die Gesetze im Alltag und in den Köpfen der Menschen nicht bemerkbar machten. Diese Ungeduld mündete unter anderem in der Gründung der Black Panther Party, die sich als «Freedom Fighters» bezeichneten und gegen den Kampf gegen das weisse Establishment aufriefen. Diese Zeit zwischen 1967 und 1975, als die Black Panthers die gefürchtetste politische Organisation der ganzen USA wurden und sich offen mit der Polizei Strassenschlachten lieferte, wurde im amerikanischen Fernsehen meist einseitig dokumentiert. Gerade deshalb ist «Black Power Mixtape 1967–1975», der Dokumentarfilm des Schweden Göran Hugo Olsson, so interessant und aufschlussreich. Der Filmemacher entdeckte im Archiv des schwedischen Fernsehens Hunderte von Stunden Filmmaterial von schwedischen Journalisten, die im Windschatten des 1964 an Martin Luther King vergebenen Friedensnobelpreises Reisen in die USA unternahmen, um eine Chronik der Bürgerrechtsbewegung einzufangen. Dabei gelangen ihnen zahlreiche Interviews mit den wichtigsten Protagonisten jener Zeit: dem jungen Aktivisten Stokely Carmichael etwa, der rhetorisch geschickt die Werte Kings zu kämpferischen Slogans umformulierte. Oder ein Interview mit der inhaftierten Angela Davis, das zeigt, mit welcher intellektuellen Kraft die Sprachführerin dieser Bewegung zu imponieren vermochte.
Der Film beeindruckt weniger als historische Chronik denn als impressionistische Collage einer Epoche, die dank den Kommentaren zeitgenösischer Figuren wie Talib Kweli, Erykah Badu oder Questlove auch im Jetzt positioniert wird. Und der Film profitiert von den ganz alltäglichen Dingen und den Statements der gewöhnlichen Menschen, die abseits des politischen Kampfes das damalige Amerika erlebten.
Antworten liefert diese europäische Sicht der Black Power Bewegung zwar keine. Diese Aufnahmen aber im Jahre 2012 zu betrachten, in dem der erste schwarze Präsident zur Wiederwahl steht, zementiert die historische Bedeutung der Wahl von Barack Obama für eine Generation, die wie John Lewis ihr Leben für die Gleichberechtigung aufs Spiel gesetzt haben.
Dass sich Barack Obama mit der Unterstützung gleichgeschlechtlicher Ehen offen zu einem weiteren Bürgerrecht bekennt, scheint die stark von christlichen Werten geprägten schwarzen Gemeinden nicht zu erschüttern. Nach jüngsten Umfragen stehen über neunzig Prozent der schwarzen Wählerinnen und Wähler hinter «ihrem» Präsidenten. Ob dies für eine zweite Amtszeit reichen wird, bleibt abzuwarten. Die von Obama im Interview mit dem «Rolling Stone» angesprochene weisse Jugend, die einen schwarzen Präsidenten als gegeben betrachtet, ist noch weit davon entfernt, im kulturell geprägten politischen Machtkampf eine Rolle zu spielen. In Washington sind zurzeit noch gänzlich andere Protagonisten am Werk (siehe auch «Wahlkampfzentrale (1)» in diesem Dossier.)
#-#IMG2#-##-#SMALL#-#«The Black Power Mixtape 1967-1975» (Schweden 2011). Drehbuch und Regie: Göran Hugo Olsson. Musik: Ahmir Questlove Thompson und Om’Mas Keith. Mit Stokely Carmichael (Kwame Ture), Eldridge Cleaver, Kathleen Cleaver, Bobby Seale, Huey P. Newton, Emile de Antonio, William Kunstler, Angela Davis. Mit Audio-Kommentaren von Harry Belafonte, Kathleen Cleaver, Angela Davis, John Forté, Robin Kelley, Talib Kweli, Abiodun Oyewole, Melvin Van Peebles, Sonia Sanchez, Bobby Seale, Ahmir Questlove Thompson.
«Black Power Mixtape 1967-1975» Trailer »
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