Yello: Interview mit Boris Blank und Dieter Meier
«Wir waren bislang einfach zu jung, um nicht mehr frisch zu klingen»
Yello verblüffen auch auf ihrem 13. Album «Toy» mit unverbrauchter Frische: ein Gespräch mit Dieter Meier und Boris Blank.
Interview: Rudolf AmstutzEs ist erstaunlich wie «Toy» klingt: Unverbraucht und frisch, altbekannt und doch mit neuen Elementen versehen. Worin liegt das Geheimnis von Yello? Die Band besteht nun doch schon 38 Jahre lang.
Dieter Meier: Boris ist ja kein Komponist, der etwas aufschreibt und dies dann umsetzt. Bei ihm ist das Studio, diese Umgebung mit all den Tausenden von Sounds, die er besitzt – dies ist in der Summe sein Instrument. Und er arbeitet so wie ein Maler, der eine Leinwand vor sich hat und dann beginnt er irgendwo unten links mit einer Idee. Oft hat er dabei noch gar keine konkrete Figur im Kopf, vielleicht bloss eine bestimmte Farbe, die eine bestimmte Stimmung und ein Rhythmus ausdrückt. Und dieser Ausgangspunkt zieht ihn dann hinein in das ganze Bild. Und dieses Bild entsteht sozusagen eigendynamisch. Und dass sich Boris immer wieder auf solche nicht vorhersehbare Situationen einlässt, ergibt am Ende diese innovative Frische, die eigentlich in sämtlichen Yello-Tracks der letzten fast vierzig Jahre präsent ist.
«Toy», der Titel des Albums, ist Programm.
Meier: Unbedingt. Das Studio von Boris ist wie der Sandkasten eines Kindes. Das Kind geht da rein, beginnt irgendwie eine Burg zu bauen, findet hier ein Zweiglein und dort ein «Plastikdeckeli» und baut so seine Burg spontan und ohne Plan. Das eine ergibt sich einfach aus dem anderen.
Boris Blank: Man könnte auch sagen, wir waren bislang einfach zu jung, um nicht mehr frisch zu klingen. Und nun kommen wir in ein Alter, in dem wir keine Kompromisse mehr eingehen müssen. (lacht)
In den letzten Jahren haben Sie beide getrennt voneinander gearbeitet. Dieter Meier, Sie haben mit «Out of Chaos» ein Soloalbum, begleitet von einer Tournee, realisiert. Boris Blank durchforstete derweil für die Retrospektive «Electrified» sein Klangarchiv und produzierte ein Album für die Sängerin Malia, deren Stimme nun neben jener von Fifi Rong auch auf «Toy» zu hören ist.
Meier: Für mich war die Arbeit mit Out of Chaos ein völlig neues Erlebnis. Als Boris für «Electrified» seine Schatztruhe öffnete, um alte Stücke auszugraben und einige davon neu zu überarbeiten, blieb er Boris. Auch das Album von Malia ist de facto ein Album von Boris Blank. Out of Chaos war ein akustisches Projekt, bei dem ich die Musik kreiert habe. Es war eher ein Singer/Songwriter-Ding. Ganz im Gegensatz zu Yello – da geht es mehr um Klangwolken, in denen ein fiktiver Geschichtenerzähler seine Auftritte hat.
Und bei Boris Blank ist nach spätestens zwei Takten klar: das ist Boris Blank.
Meier: (strahlt) Absolut! Das ist wie Ta Ta Ta Daaa (dirigiert die 5. Symphonie von Beethoven) (Boris lacht)
Boris Blank ist praktisch ein eigener Brand.
Meier: Das ist so!
Blank: (berührt) So, hört jetzt auf…
Meier: Ich habe ja seine Sounds schon gehört, als er noch mit Musikkassetten und Overdubs rumbastelte. Aber auch damals war schon nach zehn Sekunden klar: das ist Blank. Es gibt andere grosse Musiker wie David Bowie, die sich permanent neue Kleider übergezogen haben und ihr Gesicht wechselten, Boris aber ist einer, der in seiner ureigensten musikalischen Identität unentwegt stöbert.
Wie ist das für Sie, Boris Blank, wenn Dieter Meier kommt und die Klänge zu bevölkern beginnt?
Blank: Ich kann sehr gut Stimmungen vertonen, aber letztlich wird die Musik erst durch Dieters Intervention zu einem Yello-Track. Er stellt seinen Einfluss immer wieder unter den Scheffel. Natürlich ist der Sound wichtig, aber erst durch seinen Gesang wird aus Yello auch wirklich Yello.
Wenn wir beim Vergleich mit der Malerei bleiben: Blank gibt das gemalte Bild an Meier weiter, worauf sich dieser mit seinen Farben im Bild austoben darf.
Meier: Ja, nur spart Boris ja bewusst beim Erschaffen seiner Räume Platz für mich, damit ich mich durch diese Welt bewegen kann. Für mich ist dies immer ein ausserordentliches Vergnügen, auf diese Art inspiriert zu werden. Für mich sind diese Sounds wie eine imaginäre Filmmusik und in meinem Kopf entsteht dann der belichtete Film dazu – Szene für Szene, Stück um Stück wandle ich mit meinen erfundenen Protagonisten durch diese Klangräume hindurch.
Blank: Yello hatte schon immer diesen cinematografischen Charakter. Ich bin ja auf einem Auge völlig blind und ein Neurologe hat mir gesagt, dass es sehr gut sein kann, dass ich mit den Ohren kompensiere, was ich mit den Augen räumlich nicht erfassen kann.
«Blue Biscuit» hat mich mit seiner Psychedelik überrascht. Der Track klingt wie eine sanfte Hommage an Brian Wilson.
Blank: Die Psychedelik der 1960er Jahre, dieses kaliformische Lebensgefühl von damals, lösen in mir eine Sehnsucht nach dieser Epoche aus und mit Musik lässt sich diese Sehnsucht auf einfache Weise stillen. Mit Schnitzel/Pommes Frites geht das nicht, obwohl man sich erinnert, das damals gegessen zu haben.
Dieter Meier, Sie betonen immer wieder, dass die Figuren, die in den Yello-Stücken auftauchen, frei erfunden sind. Doch wir alle tragen die Summe unserer Erlebnisse mit uns rum. Wieviel Dieter Meier steckt in diesen Protagonisten? Ich denke da an das Stück «30'000 Days». Hört man in diesem Stück zukünftige Selbstzweifel des Protagonisten heraus?
Meier: 30'000 Tage, das ist heute die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes. Wenn ich tatsächlich die Gene meiner Eltern habe (klopft auf den Holztisch), die nie krank waren und beide weit über 90 wurden, dann habe ich noch Chancen, etwas älter zu werden. Aber ich bin nun 71 und da realisiert man schon, dass man sich zumindest dem letzten Drittel dieses kurzen Besuchs auf dieser Welt nähert. Dieser Song behandelt dieses Thema. Es ist sicherlich der persönlichste Song auf der Platte.
Blank: Da kommt mir eine Geschichte in den Sinn. Jeden Winter verbringe ich mit meiner Frau im Engadin und da hat es dieses Restaurant mit der wundervollen Fensterfront, wo man zusehen kann, wie es schneit. Als wir das erste Mal dort waren, sassen wir mitten im Speisesaal und ich fragte den Kellner, ob er uns nicht einen Tisch näher an dieser prächtigen Aussicht habe. Er erwiderte darauf, dass die Gäste da vorn aus Deutschland sicherlich nächstes Jahr nicht mehr kommen würden, weil sie jetzt doch schon einige Jahre auf dem Buckel hätten. Jetzt wandern wir von Jahr zu Jahr immer näher an dieses Fenster ran, bis dann der Kellner anderen sagen wird, dass die Blanks wohl nächstes Jahr nicht mehr kommen würden. (lacht)
Meier: (ernst und nachdenklich) Je näher Du ans Fenster kommst, desto eher bist Du auf der Schaufel. Guck Dir lieber draussen den Schnee an.
Um die jetzt etwas düstere Stimmung wieder aufzulockern: Ich bin der Meinung, dass man dank Yello länger und gesünder lebt. «Toy» fährt in die Beine, ins Herz und in die Seele.
Meier: (schmunzelt) Grossartig!
Die Behauptung lässt sich natürlich nur aufstellen, wenn man die Probe aufs Exempel macht. Es könnte ja sein, dass man als altgedienter Yellohörer der eigenen Nostalgie verfällt und nur deshalb das Album toll findet. Doch es tanzen alle mit einem Lächeln zu dieser Platte – Dreijährige ebenso wie Sechzigjährige. Eigentlich müsste «Toy» vom Arzt verschrieben werden. (beide lachen)
Blank: Das habe ich jetzt noch nie gehört! Vom Arzt verschrieben! Den muss ich mir merken…
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Aktuelles Album: Toy (Universal)
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