9. Oktober 2015

«Life» – Interview mit Regisseur Anton Corbijn

«Spannend wird es dann, wenn Bilder ein Eigenleben entwickeln»

Anton Corbijn ist nicht nur einer der berühmtesten Fotografen der letzten vierzig Jahre, sondern seit seinem Erstlingsfilm «Control» auch ein gefeierter Regisseur. Ein Gespräch mit dem 60jährigen Holländer über seinen vierten Film «Life», die Magie der Fotografie, sein Verhältnis zu den eigenen Bildern und über die Qualitäten seiner Schauspieler.

Interview: Rudolf Amstutz
Ungleiches Paar: Dane DeHaan als James Dean (links) und Robert Pattinson als Dennis Stock in Anton Corbijns «Life». Bild: © Elite Film
Anton Corbijn, es scheint, dass in «Life» Ihre zwei Berufe – oder besser: Berufungen, zusammenkommen. Es ist ein Film über einen Fotografen, der versucht, einen kommenden Star zu nutzen, um selber berühmt zu werden. 

Ja, das war der Grund, weshalb ich den Film machen wollte. Mein Augenmerk war zu Beginn klar auf die Geschichte des Fotografen gerichtet, weil ich in den frühen 1970er Jahren meine Karriere auf eine ähnliche Weise begonnen habe. Ich konnte mich also in die Position von Dennis Stock hineinversetzen und auch in die delikate Beziehung, die der Fotograf mit seinem Subjekt eingeht.

Der Film ist nicht, wie man fälschlicherweise annehmen könnte eine Biografie geworden.

Nein, ich wollte nie ein Biopic machen und schon gar keines über James Dean, obwohl der Film verständlicherweise als ein solcher verkauft wird. Das ist ja auch nicht weiter verfänglich, wenn man es so schafft, die Leute ins Kino zu locken. James Dean betrachte ich in dieser Geschichte als willkommenen Bonus, aber meine Perspektive geht vom Fotografen aus. Der Film hat nicht eine weltbewegende Botschaft, aber er zeigt auf, wie eine Begegnung zweier unterschiedlicher Menschen, das Leben jeweils des anderen stark beeinflussen kann. 

Im Film schildern Sie ja nur ein paar Wochen, jene kurz vor der Premiere von «East of Eden», dem ersten Film, in dem James Dean mitspielte.

Ich fand es spannend, jene Momente zu schildern, die unmittelbar vor dem Einsetzen des Ruhms geschehen. Die Filmpremiere von «East of Eden» katapultierte Dean zum Superstar und es existieren genug Filme, die sich mit Ruhm beschäftigen.

Die Fotografie, die Dennis Stock unsterblich gemacht hat, zeigt James Dean in Mantel und mit Zigarette auf dem menschenleeren Times Square in New York. Im Film sieht man, dass diese Aufnahme eher zufällig entstanden ist.

#-#IMG2#-#Ich hatte die Gelegenheit, sämtliche Kontaktabzüge von Dennis Stock in den Magnum-Büros einzusehen. In der Tat schoss er an diesem Morgen nur ganz wenige Fotos. Dennis Stock war ja kein Porträtfotograf, der auf der Suche nach berühmten Leuten war, sondern ein Fotoreporter und diese Tatsache macht diese Bilder auch so wertvoll. Dass uns dieses Bild soviel über James Dean erzählt, dass es uns einen fast intimen Einblick in das Wesen eines Menschen gewährt, haben wir der Tatsache zu verdanken, dass Stock sich auf den dokumentarischen Aspekt konzentrierte. All seine Dean-Bilder sind weit mehr als nur Porträts, es sind Zeitzeugnisse. Das Bild vom Times Square bekam natürlich nach dem Tod Deans eine völlig neue Bedeutung, weil es von den Menschen plötzlich anders betrachtet wurde. Plötzlich offenbarte es auch die dunkle Seite des Rebellen, wie er da alleine, nachdenklich über den leeren Platz läuft und die nasse Strasse zudem sein Bildnis reflektiert. All dies bringt dieses Bild zum Vorschein — gerade auch, weil es nicht inszeniert wurde. Man kann sovieles sehen und hinein interpretieren nach seinem Tod und es sind alles Dinge, die der Fotograf nicht bewusst gemacht hat. Das sind für mich die bewegenden Momente, wenn eine Fotografie ein Eigenleben entwickelt und der Fotograf darüber keine Macht hat.

Wie haben Sie es jeweils geschafft, wenn Sie Berühmtheiten fotografiert haben, dass sich die Personen von einer intimeren Seite präsentiert haben. Prominente tragen doch gegen aussen hin oft eine Maske, um sich zu schützen.

Bis zu einem gewissen Grad stimmt das mit der Maske, wobei Musiker sich anders verhalten als Schauspieler. Aber ich war ja nie darauf aus, berühmte Leute zu fotografieren. Ich wollte immer jene porträtieren, deren Arbeit ich schätzte – und da waren zu Beginn nur die wenigsten berühmt. Meine Fotografien haben sich immer aus der Zusammenarbeit ergeben, über die persönlichen Beziehungen, die ich mit den Menschen eingegangen bin. Aber die Zeiten haben sich völlig gewandelt und ich vermisse heute die Mystik vergangener Tage, gerade in der Musikszene. Diese ist durch das Internet und durch Hochglanzhefte zum reinen Unterhaltungssektor geworden. Wenn ich heute aufwachsen würde, wäre ich kaum Fotograf geworden und auch die Welt der Musik würde mich nicht mehr gefangennehmen.

In einer Ihrer Bildserien haben Sie sich unter dem Titel «A. Somebody, Strijen, Holland» selbst porträtiert, und zwar ausschliesslich in ihrem holländischen Heimatort und stets verkleidet als toter Rockstar. Sie sehen darin John Lennon oder Brian Jones zum Verwechseln ähnlich. War dies der Versuch die verlorene Mystik wieder zu finden?

 Vielleicht. In erster Linie aber ist diese Serie das Resultat einer Midlife Crisis. Es geht da um Obsessionen, zum Beispiel um jene meiner stark religiösen Eltern und ihr Verhältnis zum Leben nach dem Tod. Ich habe diese Thematik mit der Musikwelt verbunden, weil ich gleichzeitig versucht habe, jenen Bezugspunkt zur Musik wieder herzustellen, den ich als Teenager hatte und der mich zum Fotografen werden liess. Zudem ist die Serie auch ein spätes Eingeständnis, dass ich trotz der Demut, die ich bei meiner Arbeit immer empfunden hatte, letztlich auch selber berühmt werden wollte. So gesehen ist «A. Somebody» so etwas wie meine ganz  persönliche Beichte.

Sie haben davon gesprochen, wie sich die Dinge gewandelt haben. Man hört, Sie hätten auch schon Ihr iPhone für Fotos benutzt.

Für die Hülle zur letzten DVD, ja. (schmunzelt). Wenn man die Bilder nur in kleinen Formaten verwendet, dann reichen sie völlig aus. Doch grundsätzlich ziehe ich die analoge Form des Fotografierens vor, weil damit ein ganz anderer Prozess verbunden ist.

Wenn Sie schon das Analoge ansprechen: Die Geschichte von «Life» spielt in den 1950er Jahren und da war sehr vieles langsamer als heute. Die Art wie Dennis Stock im Hausflur seine Telefonanrufe erledigen muss. Das Warten auf eine Antwort, das Reisen – alles war gemächlicher…

…und erinnert mich an meine eigenen Anfänge in den frühen 1970er Jahren. Der einzige Unterschied zu damals: ich hatte dann irgendwann mal einen Anrufbeantworter und zehn Jahre später vielleicht noch ein Faxgerät. Aber wenn jemand nicht zu Hause war, dann musstest du es später nochmals versuchen. All das kennen wir heute nicht mehr. Deshalb gefällt mir dieser altmodische Aspekt des Films auch so gut.

Im Film gibt es auch Jack Warner von den Warner Bros., brillant verkörpert von Ben Kingsley. Existiert diese dominante Form eines Filmmoguls auch heute noch?

Persönlich ist mir nie einer begegnet. Ich bin mir sicher, dass in Hollywood einige Leute existieren, die sich für derart einflussreich halten. Aber die Schauspieler von heute haben einen ganz anderen Einfluss aufs Geschäft, wissen, was sie wollen und besitzen oft eigene Produktionsfirmen.

Auch James Dean wollte sich von Jack Warner nichts vorschreiben lassen, obwohl der ihm drohte, er werde ihn vernichten, wenn er nicht spurt.

Deshalb war es für mich auch wichtig, diesem Aspekt im Film Raum zu geben, so lässt sich erkennen, weshalb einer wie Dean als Rebell galt.

Haben Sie Dennis Stock zu Lebzeiten persönlich getroffen?

Nein. Ich muss sogar zugeben, dass ich von seiner Existenz lange nichts gewusst hatte. Ich kannte zwar die Bilder, aber ich habe seltsamerweise nie einen Namen mit ihnen in Verbindung gebracht. Nun kenne ich natürlich fast alle seiner Bilder und bin beeindruckt, welch gutes Auge er als Fotoreporter hatte.

In Berlin ist eine Retrospektive Ihrer eigenen Bilder zu sehen. Was ist das für ein Gefühl, seine eigene Karriere konzentriert an einem Ort zu sehen?

Die beiden Ausstellungen waren zuvor bereits in Holland zu sehen. «Hollands Deep» zeigt einen Überblick meines Schaffens der letzten vierzig Jahre, «1-2-3-4» die Bilder, die sich mit der Musikwelt beschäftigen. Das berührt einen schon und macht mich auch stolz. Es war aber auch eine Heidenarbeit damit verbunden, musste ich mich doch dafür durch sämtliche Kontaktbögen durcharbeiten. Das ist nicht so mein Ding. Ich bin eher ein Mensch, der vorwärts schaut.

Kommen beim Betrachten des eigenen Gesamtwerkes auch Bilder zum Vorschein, an die man gar nicht mehr gedacht hatte? 

Fast alle Arbeiten, die ich in meiner Karriere gemacht habe, waren Auftragsarbeiten. Nach einer Fotosession ging es also meist darum, in relativ kurzer Zeit in der Dunkelkammer das perfekte Bild für diesen Auftrag zu vergrössern und weiterzuleiten. Die Musse, sich alle Aufnahmen in Ruhe anzuschauen, existierte bis zur Vorbereitung dieser Ausstellungen nie. Plötzlich habe ich Bilder entdeckt, die der Ewigkeit eher verpflichtet sind, als jene, die man damals ausgesucht hatte. Plötzlich sprechen jene Bilder zu dir, die man damals völlig ignoriert hatte.

Die Komposition und die Ästhetik, die Ihre Bilder auszeichnet, findet man ja auch wieder in Ihren vier Filmen. 

Ich denke, dass «Life» am wenigsten an meine Arbeit erinnert. In «Control» und «The American» ist meine fotografische Arbeit noch klar zu erkennen, aber ich wollte mich bereits bei «A Most Wanted Man» davon befreien, weil ich das Gefühl bekam, ich hielte an meinen visuellen Vorstellungen nur aus Gründen der Sicherheit fest. Und mit «Life» bin ich noch weiter gegangen. Der Film hat eine Wärme, die die anderen nicht haben. Ästhetisch könnte «Life» nicht weiter entfernt sein von meinen fotografischen Arbeiten. Was ein Fotograf dem Film geben kann, ist ein Gespür für die Komposition. Aber wenn man ein guter Regisseur werden will, muss man sich manchmal vom kompositorischen Zwang lösen, um der Geschichte freier folgen zu können. Jetzt, da ich diese neuen Aspekte in die Inszenierung einbringen konnte, wird es mir sicherlich gelingen, beim nächsten Film vermehrt wieder meine eigene Identität einfliessen zu lassen und meinen persönlichen Stil mit den filmischen Möglichkeiten zu kombinieren.

«Life» wird auch getragen von den beiden Hauptpersonen, und die sind mit Robert Pattinson und Dane DeHaan wirklich hervorragend besetzt.

So unterschiedlich die Charaktere sind, die sie verkörpern müssen, so unterschiedlich sind die beiden auch als Schauspieler. Pattinson sucht zurzeit herausfordernde Rollen, um von diesem «Twilight»-Image wegzukommen und er tut dies nicht wegen des Geldes, sondern um sich und der Welt beweisen zu können, dass er ein guter Schauspieler ist. Und weil Dennis Stock im Film auch versucht, sich und der Welt zu beweisen, dass er ein guter Fotograf ist, dachte ich, das passt. Pattinson hat eine intuitive Art, sich seinem Charakter anzunähern, während Dane DeHaan eine akademische Herangehensweise hat. Wenn jemand eine historische Rolle spielt, dann kann man mit der Maske zwar etwas zur Ähnlichkeit beitragen, aber letztlich muss die Leistung des Schauspielers dafür sorgen, dass man – wie im Fall von «Life» – tatsächlich vergisst, dass da nicht der echte James Dean auf der Leinwand zu sehen ist. Für solche Herausforderungen ist Dane DeHaan einfach prädestiniert. In dieser Hinsicht erinnert er mich an Philip Seymour Hoffman.

Philip Seymour Hoffmann spielte in ihrem Film «A Most Wanted Man» seine letzte Hauptrolle.

Ja. Sein Tod war ein furchtbarer Schock. Wir waren bereits an den Dreharbeiten zu «Life», als uns die Nachricht ereilte und Dane DeHaan war auch völlig am Boden zerstört. Als Schauspieler ist Hoffman unersetzbar, es gibt keinen vergleichbaren Darsteller. Man hat ihm jede Rolle, die er verkörperte, geglaubt. Als Zuschauer hast du bei jedem seiner Charaktere schwören können, dass er diesen Typen nicht spielt, sondern in Tat und Wahrheit selber ist. Aber ich mochte Philip auch privat sehr, ein liebevoller Mensch…(kämpft mit den Worten)…es fällt mir immer noch schwer, darüber zu sprechen. Wir haben die Schlussszene von «A Most Wanted Man» nach seinem Tod nicht geändert, der Film war bereits fertig. Doch nun hat diese Szene eine ganz andere Bedeutung bekommen. Da sieht man, wie er weggeht. Einfach so. Sie ist ohne mein Zutun zum Abschiedsbild für einen ganz Grossen geworden.

Das Interview mit Anton Corbijn fand im Rahmen des Zurich Film Festivals 2015 statt.


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#-#SMALL#-#Life. CAN/D/AUS/USA 2015. Regie: Anton Corbijn. Drehbuch: Luke Davis. Kamera: Charlotte Bruus Christensen. Musik: Owen Pallett. 111 Minuten. Mit: Robert Pattinson (Dennis Stock), Dane DeHaan (James Dean), Joel Edgerton (John Morris), Ben Kingsley (Jack Warner), Alessandra Mastronardi (Pier Angeli).#-#SMALL#-#

#-#SMALL#-#«Life» – Trailer »

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