17. November 2014

«Das Salz der Erde» – Interview mit Juliano Ribeiro Salgado

«Mein Vater ist einer der wichtigsten Zeitzeugen»

Ein Sohn porträtiert den eigenen Vater und seine Arbeit: Juliano Ribeiro Salgado hat gemeinsam mit Wim Wenders einen Film über den berühmten Fotografen Sebastião Salgado realisiert. Dem brasilianisch-deutschen Regie-Duo ist mit «Das Salz der Erde» ein eindringlicher Film über einen der grossen Humanisten dieser Welt gelungen. TheTitle hat sich mit dem Sohn getroffen – und dabei nicht nur über den Vater gesprochen.

Interview: Rudolf Amstutz
Die Emotion des Augenblicks festhalten: Sebastião Salgado bei der Arbeit. Foto: © Juliano Ribeiro Salgado / Filmcoopi Zürich AG

Welches war der Initialmoment, um gemeinsam mit Wim Wenders «Das Salz der Erde» zu realisieren, ein Porträt über Ihren Vater Sebastião Salgado?

Es gab nicht den Moment, es waren in der Tat mehrere Dinge, die letztlich zu diesem Projekt geführt haben. 2009 rief mich mein Vater an und sagte mir, Wim Wenders käme bei ihm vorbei und ich müsse unbedingt kommen. Damals trafen sie sich zum ersten Mal, obwohl Wenders seit Jahren ein riesiger Salgado-Fan war und unbedingt etwas mit ihm machen wollte. Einzig, wie er dies angehen wollte, war ihm noch nicht klar. Zur selben Zeit lud mich mein Vater ein, ihn auf eine seiner Reportagen zu begleiten. Ich dachte damals allerdings auch noch nicht an einen Film.

Im Film ist die Reise, die Sie ansprechen, zu sehen. Sie führte zum Stamm der Zo’é im brasilianischen Dschungel.

Genau. Das ist ein Stamm der vor 15 Jahren erstmals überhaupt entdeckt worden war, und der heute noch lebt wie vor 15'000 Jahren. Ich nahm meine Filmkamera mit und dokumentierte diese Begegnung.

Und da kam die Idee zu einem Film?

Die kam erst, als wir wieder zuhause waren. Ich zeigte meinem Vater diese Aufnahmen und als ich sein Gesicht beim Betrachten dieser Bilder sah…er war so berührt durch diese Aufnahmen…entschloss ich mich, ihn weiter mit der Kamera zu begleiten. Ich wusste, dass er kurz vor seiner letzten grossen Arbeit stand. Zudem weiss er unglaublich viel zu erzählen. Als Fotograf hat er Orte gesehen und Dinge erlebt, wie kaum ein anderer Mensch. Für mich ist er einer der wichtigsten lebenden Zeitzeugen der letzten vierzig Jahre.

Und so kam allmählich die Struktur des Filmes zusammen…

Ja. Nach der Reise trafen wir uns wieder mit Wenders und wir hatten die selbe Intuition: seine Bilder kombiniert mit seiner eigenen Reflektion über das Erlebte ergeben in der Summe eine ungemein spannende Geschichte.

Sebastião Salgado sitzt in einem dunklen Raum, völlig isoliert von der Aussenwelt und wird mit seinen eigenen Fotografien konfrontiert.

Genau. Dieser effektvolle Trick haben wir Wim Wenders zu verdanken. Es ist verblüffend, wie er seine Intuition in ein cinematografisches Erlebnis für den Betrachter verwandeln kann. In den Szenen, in denen mein Vater über Ruanda spricht und bei ihm all die Gefühle wieder hochkommen: ungefilterter kann Kino nicht sein.

Diese Bilder sind auch für den Kinobesucher sehr aufwühlend. 

Es gab Momente während der Dreharbeiten, da mussten wir aufhören, weil das Ganze für ihn einfach zu viel war. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass es auf dieser Welt Dinge gibt, die man zeigen muss. Und im Film wird man mit der Menschheit und ihrem Tun konfrontiert, ungefiltert, unzensiert und unmittelbar von einem Zeitzeugen kommentiert. Letztlich steht am Ende dieser barbarischen Reise auch eine Botschaft der Hoffnung. Denn erst wenn wir uns gewahr werden, zu was wir als Menschen fähig sind, erst dann können wir die Dinge zum Guten verändern.

Es ist letztlich Sebastião Salgado selbst, der Symbole der Hoffnung präsentiert. Auf der einen Seite mit dem Projekt Instituto Terra, mit dem er den Ort, an dem er aufgewachsen ist und der sich über die Jahre in totes Land verwandelt hat, wieder aufgeforstet hat. Heute ist das Land wieder von Wald bedeckt. Andererseits aber auch mit seiner letzten fotografischen Arbeit «Genesis», mit der er an die Ursprünge unseres Planeten zurückgeht. Beides sind eindrucksvolle und eindringliche Botschaften.

Unbedingt. Der Baum hat einen starken symbolischen Charakter, gerade wenn er auf einem zuvor als tot erklärten Boden wächst. Das Leben kehrt zurück – für mich ist dies eine Metapher für die Seele meines Vaters.

#-#IMG2#-#Wie haben Sie dies als Kind erlebt, wenn Ihr Vater nach seinen Reisen zurück nach Hause kam?

Er war sechs bis acht Monate im Jahr unterwegs. Ich habe ihn damals dermassen vermisst, dass ich dieses Gefühl noch heute in mir trage. Für ein Kind ist dies eine schmerzhafte Erfahrung, war es doch in einer Zeit, in der es noch keine Handys und Internet gab. Telefonieren war damals zu teuer und meine Eltern hatten sowieso nie viel Geld. Er schrieb mir zwar sehr lange Briefe, aber das war nichts im Vergleich zu jenen Tagen, als er wirklich wieder heimkehrte. Er hatte uns soviel zu erzählen und das gab mir ungemein viel zurück. Ich hatte zwar oft keinen Vater, aber was er mir letztlich mitgeben konnte, hat mich zu einem besseren Menschen gemacht, als wenn er einem normalen Job nachgegangen und ständig zuhause gewesen wäre.

Aber es muss hart gewesen sein, als er aus Ruanda zurückkehrte. Konnte er damals das Erlebte mit seiner Familie teilen?

Es war furchtbar. Ich war damals 18 Jahre alt und hatte ihn zwei Jahre zuvor nach Ruanda begleitet. Bereits damals hörten wir von ersten Tötungen und mein Vater hatte sehr viele Freunde, die alle umgekommen sind. Er kam damals heim und wurde sofort krank. Er magerte ab, sein Blutbild war erschreckend und lange realisierten wir nicht, dass die Ursachen dafür psychischer Natur waren.

Als Betrachter dieser Bilder kann man sich kaum vorstellen, wie es gewesen sein muss, persönlich dort zu sein. Und dann diesen Schrecken auch noch zu dokumentieren.

Das Fotografieren hat gerade in einer solchen Situation eine starke Funktion. Damals gab es in Ruanda absolut keine Hoffnung und für ihn war die einzige Möglichkeit, nicht psychisch daran zugrunde zu gehen, diesen Zustand festzuhalten. Er war der einzige Fotograf, der noch im Land verblieb. Am Ende musste er mit einem Fahrrad fliehen, weil sonst auch er wohl umgekommen wäre. Aber ich denke, er war sich bewusst, wie wichtig es war, diese menschliche Tragödie für die Welt festzuhalten und deshalb stand er es durch.

Das Besondere an den Werken Ihres Vaters ist deren Fähigkeit, sich tief im Innern des Betrachters festzusetzen. Einmal gesehen, lassen sie einen kaum mehr los. Trotz dieser Qualität gibt es Kritiker, die behaupten, er ästhetisiere das Elend.

Das ist eine faire Kritik an den Medien. Aber ich glaube nicht, dass man sie auf die Bilder meines Vaters anwenden kann. Er hat zu allen Menschen, die er fotografiert, eine Beziehung. Er benutzt sie nicht bloss für seine Absichten. Er lebt mit ihnen, diskutiert mit ihnen – man sieht das ja sehr gut auch im Film – die Menschen öffnen sich für ihn, wenden sich ihm auch zu. Daraus ergibt sich eine Beziehung zwischen beiden Seiten. Er besitzt das einzigartige Talent, die Emotion des Augenblicks mit seinen Bildern festzuhalten. Und dies wäre nicht möglich, wenn er das Leid zu seinen Gunsten nutzen würde. Seine Absicht war stets, ein weltweites Bewusstsein zu wecken.

Lassen Sie uns über Sie sprechen. Als Sohn eines berühmten Vaters: war es für Sie leicht, sich zu emanzipieren?

Mein Vater war lange zwar ein bekannter Fotograf, dessen Bilder auch auf Titelseiten erschienen, aber er war alles andere als berühmt. Wir waren auch nie reich, als Fotoreporter und Journalist wird man nicht reich. Aber er war natürlich in dieser Branche bekannt. Als ich als Newsjournalist zu arbeiten begann, dachten alle, ich würde meinen Namen benutzen, um mir Vorteile zu verschaffen. Ich wusste damals auch nie, wenn mir jemand einen Job anbot, ob er dies nun wegen meines Talents oder meines Namens tat. Als ich dann mit 26 nach London an die Filmakademie ging, liess ich Salgado weg und nannte mich nur noch Juliano Ribeiro. Dies erlaubte mir ein eigenes Selbstbewusstsein zu entwicklen und eine Karriere als Journalist und Filmemacher aufzubauen. 

Und Sie wenden sich jetzt einem neuen Genre zu und arbeiten an Ihrem ersten Spielfilm, der in São Paulo spielen soll.

Genau. São Paulo ist ein völlig verrückter Ort, architektonisch, städteplanerisch, aber auch durch die Ansammlung verschiedenster Menschen, die sich dort angesiedelt haben. Geplant ist ein Psychothriller, der aber parallel zur Story auch die ganze Vielfalt und Problematik der brasilianischen Gesellschaft widerspiegeln soll.

Mit Ihrem Vater begehen sie die einsamsten Orte dieser Welt, um dann wieder in einen Moloch wie São Paulo einzutauchen. Ein unglaublicher Kontrast!

Ja, aber ich mag dieses Spannungsfeld. Es ist eine Art pendeln zwischen «Wer wir sind» und «Was wir wollen». Und in Brasilien bewegt sich zurzeit in dieser Hinsicht sehr viel, weil sehr viele Menschen auf der Suche sind nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Eine spannendere Ausgangslage kann sich ein Filmemacher nicht wünschen.

Das Gespräch fand im Rahmen des Zurich Film Festivals 2014 statt.

Zur Person:

Juliano Ribeiro Salgado wurde 1974 in Paris geboren, wo er in einem französisch-brasilianischen Umfeld aufwächst. 1996 erschien im Auftrag von ARTE sein erster Dokumentarfilm «Suzana» über den Einsatz von Tretminen in Angola. Weitere Dokumentarfilme über Äthiopien, Afghanistan und Brasilien folgten. Parallel dazu erstellte er Reportagen für den französischen Sender Canal+ und TV Globo in Brasilien. Salgado studierte an der London Film School. Sein Film «Nauru an Island adrif», den er 2009 für die Hochglanz-Sparte von ARTE dreht, wurde auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt (HotDocs in Toronto und Le Festival Dei Populo in Florenz).

#-#IMG3#-##-#SMALL#-#Das Salz der Erde. Frankreich 2014. Regie: Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgado. Drehbuch: Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado und David Rosier. Kamera: Juliano Ribeiro Salgado und Hugo Barbier. Musik: Laurent Petitgand. Mit: Sebastião Salgado, Lélia Deluiz Salgado, Wim Wenders und Juliano Ribeiro Salgado.

«Das Salz der Erde» – Trailer »

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