12. Oktober 2014

«Get On Up» – Interview mit Regisseur Tate Taylor

«Ich wollte in den Kopf von James Brown vordringen»

Nach dem Riesenerfolg von «The Help» legt Tate Taylor nun mit «Get On Up» eine psychologische Annäherung an James Brown vor. Ein Gespräch mit dem US-Regisseur über The Godfather of Soul und darüber wie man eine solch schillernde Figur filmisch einfangen kann.

von Rudolf Amstutz
Chadwick Boseman als James Brown und Regisseur Tate Taylor auf dem Set von «Get On Up». Bild: © D. Stevens / Universal Pictures

Biografische Filme, sogenannte Biopics, sind für einen Filmemacher gefährliches Terrain. Der Anspruch, ein ganzes Leben auf zwei Stunden zu kondensieren, ist oft ein Unterfangen, das in grandiosem Scheitern endet. Tate Taylor, der Biopics eigentlich nicht mag, hat doch eines gemacht: Doch in «Get On Up» umschifft er geschickt die Fallen, die lauern. Er hat die Lebensgeschichte des Godfather of Soul nicht linear aufgebaut, sondern wie ein Psychogramm, in dem er einschneidende Erlebnisse aus der Brownschen Biografie zeitlich ineinander verschränkt und verknüpft und damit einen doppelten Boden schafft, den andere Biopics vermissen lassen. Der Film gleicht rhythmisch denn auch nicht zufällig einem Konzert von James Brown: mal ekstatisch, dann urplötzlich wieder sanft und ruhig. Doch all die Mühe wäre nichts wert gewesen, wenn der Hauptdarsteller die Vision des Regisseurs und James Brown himself nicht zum Leben hätte erwecken können: Chadwick Boseman, der in «42» bereits eindringlich Jackie Robinson, den ersten schwarzen Baseball-Profi, verkörperte, ist ohne Abstriche brillant. Grossartig wie er den komplexen, scheinbar undurchdringbaren Charakter James Browns in all seinen Schattierungen aufzuzeigen vermag. «Get On Up» ist ein Film, der die Power eines Liveauftritts besitzt und Lust macht, sich wieder einmal eindringlicher mit der Musik des «Hardest Working Man in Show Business» zu beschäftigen.

Mister Taylor, was hat für Sie den Ausschlag gegeben, mit «Get On Up» einen biografischen Film über James Brown zu machen?

Tate Taylor: Wenn man wie ich aus dem Süden der USA stammt, genauer aus Mississippi, dann ist man mit James Brown aufgewachsen. Seine Musik war bei uns zuhause allgegenwärtig. Im Rest des Landes hat der amerikanische Süden ja ein zweifelhaftes Image – wir betrachten uns deshalb auch als Underdogs. Und wenn dann einer von uns Erfolg hat, dann feiern wir diese Leute: Elvis Presley oder eben auch James Brown. Meine Mutter besitzt sechs Platten von Brown, die sie während ihrer College-Zeit wie einen Schatz hütete und auf denen mit Kugelschreiber ihr Mädchenname und der Hinweis steht: «Du kannst sie borgen, aber dann bitte retournieren. Zimmer 301.» (lacht) Da sieht man die Bedeutung dieses Mannes. Meine Mutter ging auf ein christliches College nur für Weisse, aber im Verborgenen hörte man diese Musik, weil sie einfach das Coolste war, das es damals gab.

James Brown war zu Lebzeiten eine ziemlich kontroverse Persönlichkeit. Wie nähert man sich einer solchen Figur an? Und wie entscheidet man, welche Seiten in diesem doch reichen Leben man zeigen will und welche nicht?

Ich muss vorausschicken, dass ich – wenn ich ins Kino gehe, um mich unterhalten zu lassen – mir selten biografische Filme angucke. Wir leben in einem Zeitalter, in dem man sich die Informationen zu einer Person so leicht und schnell beschaffen kann, dass diese Art von Filmen oft zu vorhersehbar ablaufen. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Der Grund, weshalb ich «Get On Up» trotzdem gemacht habe: wenn man im Falle von James Brown alles abzieht, seine Musik, seinen Ruhm, seine Biografie – wenn also am Ende nur seine Person übrig bleibt, dann hat man einen Charakter vor sich, den man so nie erfinden könnte, weil er so einzigartig ist. Ich wollte also eine psychologische Betrachtung dieses Menschen machen. Was treibt ihn an? Worin besteht seine Furcht? Ich wollte seine Dämonen finden und am Ende durch diese Annäherung in seinem Kopf landen, um ihn letztlich zu verstehen. Erst danach fügte ich die Musik und die Kostüme und all diese Sachen wieder hinzu.

Ist Ihnen dies gelungen? Verstehen Sie denn nun James Brown?

Da ich aus dem Süden bin, habe ich ihn natürlich immer schon verstanden (lächelt). Nein, wirklich. Dies ist auch der Grund, weshalb ich mich für Chadwick Boseman entschieden habe. Er stammt aus South Carolina und er hat Verwandte, die genauso sprechen und sich bewegen wie James Brown. Ich brauchte jemanden, der dieses Grundgefühl einfangen konnte.

Was hat Sie nach der intensiven Beschäftigung mit Brown’s Biografie am meisten überrascht?

Es wurde mir erst im Laufe der Recherchen klar, wie sehr sein Leben von der Tatsache beeinflusst wurde, dass er als Kind verlassen wurde. Man hört ja oft von Leuten, sie hätten eine schlechte Kindheit gehabt, aber jene von James Brown war wirklich übel: als Siebenjähriger in einer Waldhütte sechs Wochen alleine gelassen zu werden. Das würde ein heutiges Kind wohl kaum durchstehen. Und was mich eben überrascht hatte, ist die Tatsache, dass diese Furcht von damals sein ganzes Leben bestimmte. Der Mann hatte Angst, hinter dem grossen Star verbarg sich stets auch dieser kleine, ängstliche Junge. Ich denke, die Furcht vor der Vergangenheit hat ihn dermassen vorwärts getrieben.

So betrachtet, wird die Vergangenheit stets auch ein Aspekt der Gegenwart. Ist dies der Grund, weshalb sie für den Film keine lineare Erzählform gewählt haben?

Wenn man die Mosaiksteine, die letztlich einen Charakter wie jener von James Brown ausmachen, zu einem sichtbaren Ganzen zusammenführen will, dann setzt man verschiedene Momente seines Lebens zueinander in Relation. Am Ende möchte man, dass das Publikum den Protagonisten versteht. Zudem hat diese Art den Vorteil, dass man den herkömmlichen Verlauf eines biografischen Films formal umgehen kann. Und irgendwie lässt sich so «Get On Up» auch mit einem Konzert von James Brown vergleichen. Auch da hatte das Publikum absolut nie eine Ahnung, was als nächstes kommt.

Gab es von den Hinterbliebenen von James Brown irgendwelche Restriktionen? Dinge, die Sie nicht zeigen oder ansprechen durften?

Nein. Überhaupt nicht. Im Gegenteil, die doch recht grosse Anzahl Verwandter hat uns tatkräftig unterstützt. Chadwick Boseman und ich reisten mit dem Auto durch South Carolina, um all jene Menschen zu treffen, die James gekannt haben. Das war Teil der Recherche. Ich erzählte seiner Frau Deedee, dass ich die häusliche Gewalt im Film zeigen möchte. Da war sie zuerst etwas besorgt. Ich versprach ihr dann, dass ich ihr die geschriebene Szene zuerst vorlegen würde und dass wir dann in Ruhe über alles sprechen würden. Ich denke, dass man sehr vieles in einem Film zeigen kann, wenn man sich mit dem nötigen Respekt den Beteiligten nähert. 

Sie haben eine Szene im Film nachgestellt: den Auftritt von James Brown im Film «Ski Party» von 1965. Nur haben Sie die Perspektive gewechselt. Nun sieht man das Ganze aus der Sicht von Brown. Weshalb wollten Sie diese Szene im Film haben?

Jeder Song, der in «Get On Up» zu hören ist, hat eine Bedeutung und dient auch dazu, die Geschichte inhaltlich voranzutreiben. In dieser Szene singt Brown «I Got You (I Feel Good)» in einer Skihütte vor lauter braven weissen Menschen. Der Song ist ja einer der ganz grossen Klassiker in der amerikanischen Musikgeschichte, aber alles andere als einer meiner musikalischen Favoriten. Ich nenne ihn den White Crossover Song. In den USA wird er an allen Hochzeiten rauf und runtergespielt. Für mich symbolisiert er das vertonte Klischee von James Brown. Aber ich wusste auch, dass ich ihn im Film verwenden musste. Also stellte ich mir vor, dass es James Brown genau bei diesem Auftritt klar geworden sein musste, dass er zu weit gegangen war. Es war eine Anbiederung, die er danach so nie wieder gemacht hat. Also habe ich die Szene aus einer neuen Perspektive einfach nochmals gedreht.

Brown war ja bekannt dafür, ein Control Freak zu sein. Und Sie sagten in einem Interview, sie hätten bei den Dreharbeiten das Gefühl gehabt, er würde Ihnen andauernd über die Schulter gucken.

Ja, deshalb habe ich bei diesem Film auch die «vierte Wand» durchbrochen. Brown richtet sich in einigen Szenen direkt an das Publikum. Oft entstanden diese Szenen spontan am Set, weil ich mir vorstellte, dass an jenen Stellen der echte Brown aus dem Reich der Toten zurückkehrt und den Film stürmt, um uns in seiner unverwechselbaren Art etwas mitzuteilen. Dies ist natürlich ein riskantes Verfahren, aber Chadwick Boseman hat das grossartig gelöst.

James Brown wurde in den 1960er Jahren berühmt und wurde deshalb auch ein Aushängeschild der Bürgerrechtsbewegung. Denken Sie, dass der Einfluss heutiger Stars wie Beyoncé oder Jay-Z ebenso gross ist?

Die Zeiten haben sich ja grundlegend geändert. Das kann man nicht vergleichen. Heute träumt jeder davon, ein Star zu werden. Einfach berühmt werden, lautet die Devise. Und was die echten Stars von heute mit Brown gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass sie hart dafür arbeiten mussten. Er nannte sich nicht umsonst «The Hardest Working Man in Show Business».

Das kommt vielleicht im Film etwas zu kurz, diese harte Arbeit, die ihn überhaupt zu dem gemacht hat, was er war.

Die Szene, in der er im Studio seinen Musikern seine musikalische Vision zu erklären versucht, ist die längste im ganzen Film. James Brown, das hört man sehr gut, wenn man seine Studio Sessions hört, war kaum fähig sich zu artikulieren. Er spielte selbst kein Instrument, er konnte auch keine Noten lesen. Im Prinzip folgte er nur seinen Instinkten. Es gibt die Szene, in dem man den jungen James sieht, wie er fasziniert  einem Prediger zuhört, der die Masse für sich gewinnen kann. Genau dies wollte er auch. Und wenn er dieses Gefühl, diese Intensität seinen Musikern nicht mitteilen konnte, dann schrie er einfach stundenlang rum, bis der letzte Ton stimmte. 

Sie haben zugegeben, dass Sie «I Got You (I Feel Good)» nicht toll finden. Welches ist denn nun Ihr Lieblingssong?

Oh Mann, es ist fast unmöglich, nur einen zu nennen. Aber «Night Train» gehört sicherlich dazu. Wie er uns da erklärt, dass ihn alle Menschen auf dieser Welt lieben, ohne es uns direkt zu sagen, ist für mich typisch James Brown. Eigentlich sagt er zu sich selber: «I am doing okay». Deshalb mag ich diesen Song.

Das Gespräch mit Tate Taylor fand im Rahmen der Schweizer Premiere von «Get On Up» am 10. Zurich Film Festival statt.

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Get On Up. USA 2014. Regie: Tate Taylor. Drehbuch: Jez Butterworth und John-Henry Butterworth, basierend auf einer Geschichte von Jez Butterworth, John-Henry Butterworth und Steven Baigelman. Kamera: Stephen Goldblatt. Musik: Thomas Newman. 

Mit: Chadwick Boseman (James Brown), Nelsan Ellis (Bobby Byrd), Dan Aykroyd (Ben Bart), Viola Davis (Susie Brown), Craig Robinson (Maceo Parker), Octavia Spencer (Aunt Honey), Lennie James (Joe Brown), Jill Scott (DeeDee), Tika Sumpter (Yvonne Fair) sowie Jamarion und Jordan Scott (Little James Brown).

«Get On Up» – Trailer »

«I Got You (I Feel Good)» – Originalszene aus «Ski Party» von 1965 »

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