29. Oktober 2013

«Am Hang» – Interview mit Markus Imboden

«Ich fühle mich nicht dem Leser verpflichtet»

Bei einer Literaturverfilmung gehe es um die Quintessenz des Stoffes, sagt Markus Imboden. Im Gespräch mit TheTitle äussert sich der Berner Filmemacher zu den Qualitäten der Buchvorlage von «Am Hang», zur Initialzündung selber Regisseur zu werden und zu seinem nächsten Projekt.

Interview: Rudolf Amstutz
Nicht nur Projektionsfläche: Valerie (martina Gedeck) mit Thomas (Max Simonischek). Bild: © Filmcoopi

Markus Imboden, als ich Bekannten und Freunden erzählt habe, dass Sie Markus Werners Roman «Am Hang» verfilmt hätten, fiel mir auf, dass scheinbar alle dieses Buch gelesen haben, selbst solche, die nicht bekannt sind fürs Bücher lesen. Setzt diese ausserordentliche Bekanntheit eines literarischen Werkes den Regisseur unter Druck?

Das Buch war ein Bestseller. Was soviel heisst wie: sehr viele Menschen haben das Buch gekauft. Ob sie es letztlich auch gelesen habe, das weiss ich nicht. Aber nein, ich fühlte keinen Druck. Ein Vorteil war sicher, dass ich zuerst das Drehbuch gelesen habe und erst danach den Roman. Meine Annäherung an den Stoff war also zunächst eine rein filmische. Das Lesen des Romans diente erst anschliessend der Überprüfung des Drehbuchs: Was blieb auf der Strecke? Was wurde auf eine gelungene Art und Weise übersetzt und was nicht? Mein Druck besteht aber aus der Ungewissheit, ob die Leute sich den Film ansehen. Das ist ein ständiger Druck, den man als Filmemacher hat, weil damit die eigene Existenz verbunden ist. Vom Erfolg hängt es ab, ob man auch weiterhin Filme machen kann. Aber um noch einmal auf die Eingangsfrage zurückzukehren: Ich fühle mich nicht dem Leser verpflichtet.

Es ist ja eher eine Variation des Themas als eine treue Literaturverfilmung.

Das stimmt.

Könnte man denn behaupten, eine gute Literaturverfilmung ist eine, die es gar nicht erst versucht?

Nun ja, vielleicht. Es geht ja in erster Linie um die Quintessenz eines Buches oder einer Geschichte. Und da haben wir doch einiges vom Buch übernommen, gerade was die innere Mechanik des Ganzen betrifft. Meiner Meinung, ist mein Film nicht die Verfilmung des Buches, sondern jene meiner Haltung gegenüber diesem Buch. Und so gesehen spielt da auch meine Kritik am Buch hinein. Bei Markus Werner erscheint die weibliche Figur Valerie nur als Projektionsfläche, doch es ist gerade sie, die ich mir während der Lektüre «erlesen» habe. Man geht ja stets auf eine eigene Reise, wenn man Literatur liest und dabei entwickelt jeder Leser ganz individuelle Bilder. Deshalb gibt es auch kein Richtig oder Falsch. Aber klar, es wird Leute geben, die dann vom Film enttäuscht sein werden, weil sie sich gewisse Dinge ganz spezifisch vorgestellt haben.

Die Frage ist, wieviel Leerstellen belässt man im Film oder wie sehr beraubt man den Leser seiner Fantasie.

Film ist nun mal etwas Konkretes. Die Orte, die Gesichter, die Kleider – all dies wird in einem Film sichtbar gemacht. Ein Roman kann sich erlauben zu sagen: «Er sass an einem schönen Ort.» Ich dagegen muss diesen Ort definieren.

Zudem benutzt Markus Werner in seinem Buch literarische Tricks, die nicht übersetzbar sind. Es wird einem also bereits beim Lesen klar, dass ein möglicher Film sich Varianten bedienen müsste.

Das ist so. Die Struktur des Romans zwingt einen dazu, es anders machen zu müssen.

Der Film hat sehr viel Dialog.

Ich mag das. Es ist eine Eigenschaft des Menschen, das er spricht. Man setzt sich abends an den Stammtisch in der Beiz und erzählt Geschichten. Und diese Art des sich einander etwas Erzählens fasziniert mich. Ich habe Germanistik studiert und danach am Theater gearbeitet. Und da ist der Dialog essenziell. Welche Gefühle hinter den gesprochenen Worten stecken, das ist interessant. In «Am Hang» erinnern die Dialoge bisweilen an ein Fechtduell. Je mehr die beiden männlichen Protagonisten voneinander wissen, je mehr versuchen sie sich gegenseitig aufs Glatteis zu führen. Das ist ungemein spannend.

Wie sehr spielt während der Arbeit am Drehbuch die Besetzung eine Rolle?

Sie spielt nur zum Teil eine Rolle. Natürlich überlegt man sich bereits in dieser Phase gewisse Dinge. Der junge Mann erscheint ja oft wie sein eigenes Klischee. Er redet sich seinen Zustand schön. Ich bin überzeugt davon, dass er nichts dagegen hätte, die Frau seines Lebens zu finden. Ich persönlich glaub ihm nicht alles, was er behauptet. Ich bin davon überzeugt, dass er sich tief in seinem Innern anlügt. Und wenn man sich diesen Charakter dann so vorstellt, überlegt man sich natürlich, welcher Schauspieler diesen Thomas perfekt verkörpern könnte. Max Simonischek wird ja bei Filmen oft als Beau besetzt, weil er gut aussieht. Aber persönlich hasst er dies – immerhin spielt er im Theater all die grossen Rollen. Er ist wirklich ein toller Schauspieler.

Seine Rolle als Thomas scheint ja auch ungleich schwieriger als jene von Henry Hübchen, der Felix verkörpert. Bei Thomas ist vieles ungesagt, seine ganze Persönlichkeit hat nicht aufgedeckte Brüche, die Simonischek sichtbar machen muss, während sein Gegenüber eigentlich meistens seine Gefühle auslebt.

Das stimmt, ja.

Wie wichtig ist es denn für den Regisseur, dass er die Darsteller bestens kennt.

Es hat Vorteile. Man kann sich die ganzen Höflichkeiten und Unhöflichkeiten sparen und gleich mit der Arbeit beginnen, wenn man einander schon kennt. Aber letztlich sind wir alle professionelle und ernsthafte Menschen, die gemeinsam ein Projekt realisieren. Deshalb ist es wichtiger, die bestmögliche Besetzung zu finden und nicht, ob man sich nun schon länger kennt.

Sie haben gesagt, dass Sie Dialoge mögen. Sind Sie beeinflusst von Eric Rohmer, dessen Filme ja mehrheitlich nur aus Dialog bestehen?

Nein. Bei Rohmer wird ja in der Tat nur noch geredet. Das erscheint mir bisweilen zu selbstgefällig. Die Dialoge in «Am Hang» sind da anders. Sie haben eine elementare Funktion in der Geschichte und ähneln ja an einigen Stellen einem Verhör.

Einer der wichtigsten Aspekte in Ihrer Variation von «Am Hang» ist, dass Sie die Perspektive geändert haben. Im Film steht die Frau im Mittelpunkt, das Buch dagegen ist aus der Sicht des jungen Mannes geschrieben.

Das Spannende an diesem Stoff ist, dass den beiden Männern die Frau bis zum Ende eigentlich fremd bleibt. Sie kreisen in ihren Gesprächen um sich selber, es sind monologisierende Männer, die selbstgefällig und von sich eingenommen sind. Das hat mich übrigens im Roman genervt. Irgendwann gingen mir die beiden auf den Wecker.

Von Rohmer sind Sie nicht begeistert. Aber gibt es einen Einfluss in Ihrem Filmschaffen?

Der wahre Grund, weshalb ich Filmemacher geworden bin, das waren die Winnetou-Filme. Ich bin in Interlaken direkt über dem Kino Rex aufgewachsen. Und weil der Kinobesitzer einen gleichaltrigen Sohn hatte, konnte ich mit ihm ins Kino. Und da wir durch den Hintereingang reingingen, sahen wir auch andere Filme, die nicht für unser Alter geeignet waren. Jeweils am Sonntag wurden italienische Filme für die Gastarbeiter gezeigt: «Herkules» oder «Maciste», eigentlich furchtbare Streifen, aber derart furchteinflössend, dass man anschliessend aus Angst im Bett der Eltern übernachten wollte. Genau das fasziniert mich am Kino, diese Macht der Bilder. Kino transportiert Gefühle, es kann uns zum Weinen bringen oder lässt uns schlecht träumen.

Und was sehen Sie sich heute für Filme an?

Ich bin ein grosser Fan der Coen Brothers. Solche Filme würde ich gerne machen. Ihre stilistische Spannbreite find ich ebenso grossartig wie ihr Panoptikum toller Charaktere. Oder jüngst war ich begeistert von der schauspielerischen Leistung von Michael Douglas und Matt Damon in «Behind The Candelabra», Steven Soderberghs Film über Liberace. Das ist dermassen toll gespielt, da geht mir das Herz auf.

#-#IMG2#-#Dieser Film wurde vom Fernsehsender HBO produziert. Das ist ja auch ein Phänomen, dass das Fernsehen in qualitativer Hinsicht eine ernsthafte Alternative zum Kino geworden ist.

In den USA hatte man den Mut, etwas zu ändern. Plötzlich realisierte man dort, dass auch sehr viele intelligente Menschen existieren, die durch das bestehende Angebot, durch die immer gleichen Erzählmuster, gelangweilt waren. Diese Menschen gingen früher ins Kino, weil sie Fernsehen langweilig fanden. Dann gab es eine Zeit, vielleicht so vor fünfzehn Jahren, da war das Fernsehen – vor allem in Deutschland dank hervorragender Fernsehspiele – plötzlich wieder spannend, weil es vom sozialen Leben erzählte und sich als Spiegel der Gesellschaft präsentierte. Damals entfernte man sich im Kino vom Autorenfilm und nun dominieren die reinen Glamourschinken. Während man sich in der Schweiz nach Arthouse-Filmen sehnt, ist dieser Begriff in Deutschland ein Schimpfwort. Dort existiert eine völlig andere Kinokultur, alles ist auf Multiplex und Popcorn ausgerichtet. Und weil das deutsche Fernsehen immer seichter und blöder wird, findet man sich nun zwischen Stuhl und Bank wieder.

Dafür gibt es zum Glück die amerikanischen TV-Serien.

Genau. Die haben vor ein paar Jahren damit begonnen, harte, realistische und überraschende Serien zu produzieren. Das spricht vor allem auch ein jugendliches Publikum an. Meine Tochter käme es gar nicht in den Sinn ARD und ZDF einzuschalten, die holt sich die aktuellen US-Produktionen aus dem Internet.

Zum Schluss noch eine hypothetische Frage: Wenn einer mit genügend Geld auf Sie zukommen und einfach sagen würde, machen Sie, was Sie wollen, was wäre dies?

Da muss ich nicht lange überlegen. Dann würde ich als erstes meinen nächsten Film machen. Der heisst «Himmelreich» und basiert auf dem Roman von Rolf Dobelli. Die Geschichte ist irgendwie die Umkehr von «Am Hang», denn da gibt es einen Mann zwischen zwei Frauen. Ein toller, dichter und emotionaler Stoff, aber leider etwas teuer in der Umsetzung, weil er zur Hälfte in New York spielt. Ich denke, der Film würde sieben Millionen kosten und damit wird die Umsetzung ganz schwierig, weil gerade in Deutschland eigentlich nur Filme unterstützt werden, die auch in Deutschland spielen. Ich weiss also nicht, ob ich den Film jemals machen kann.

Das Interview fand im Rahmen des 9. Zurich Film Festivals statt.

#-#SMALL#-#Markus Imboden – zur Person:

Nach einer Ausbildung zum Elektroniker holte Markus Imboden die Matura nach, um Germanistik und Geschichte zu studieren. Nach Engagements als Regieassistent am Theater an der Winkelwiese, am Schauspielhaus Zürich und am Schauspiel Köln begann er 1986 als freischaffender Filmregisseur und Drehbuchautor zu arbeiten.

Sein letzter Kinofilm, «Der Verdingbub», war ein Kassenschlager, wurde für sechs Schweizer Filmpreise nominiert, bekam den Preis für die «Beste Hautrolle» (Max Hubacher) und die «Beste männliche Nebenrolle» (Stefan Kurt), Lisa Brand wurde «Beste Nachwuchsdarstellerin» beim Bayrischen Filmpreis, der Film bekam den «Prix Walo» und wurde «Bester Kinofilm» beim Schweizer Fernsehpreis 2012. Sein Kinofilm «Frau Rettich, die Czerni und ich» erhielt 1998 einen Deutschen Filmpreis. Für «Ausgerechnet Zoe» und «Mörder auf Amrum» erhielt er den Grimme Preis. Neben Kinofilmen hat Markus Imboden zahlreiche Filme fürs Fernsehen realisiert. Zu den erfolgreichsten gehören: «Hunger auf Leben» (Deutscher Fernsehpreis 2004), den Zweiteiler «Auf Immer und ewig einen Tag», «Ich habe nein gesagt», «Ins Leben zurück», «Mörderische Erpressung». Dabei hat er vielfach mit Schauspielern wie Martina Gedeck, Hannelore Hoger, Sepp Bierbichler, Ulrich Mühe, Hinnerk Schönemann, Thomas Thieme, Heino Ferch, etc. gearbeitet.

An der Zürcher Hochschule der Künste ZHDK ist Imboden Studiengangsleiter Master of Arts in Film.

Er lebt gemeinsam mit der Schauspielerin Martina Gedeck in Berlin.

Weitere Infos: www.markusimboden.com

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Am Hang. Schweiz / Deutschland 2013. Regie: Markus Imboden. Drehbuch: Klaus Richter, Martin Gypkens und Markus Imboden. Kamera: Rainer Klausmann. Musik: Ben Jeger. Mit Henry Hübchen (Felix), Martina Gedeck (Valerie / Bettina), Max Simonischek (Thomas), Sophie Hutter (Eva Nirak).

«Am Hang» – Webseite »

«Am Hang» – Trailer »

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