6. November 2007

DOSSIER: SOFT MACHINE – Porträt Daevid Allen

Von Pixies und Teekannen

Der kuriose Planet, auf dem der australische Galaxien-Bummler, Gitarrist und Beat-Dichter Daevid Allen durchs Universum kurvt, streifte nur kurz den Orbit von Soft Machine. Der erste Band seiner Memoiren ist ein klassisches Hippie-Zeit-Dokument.

von Hanspeter Künzler
Eigenwillig: Daevid Allen. Foto: zvg

Wo nur anfangen? Etwa damit? «My first orgasm was my first mystical experience. From that moment I believed that there must be a God.» Oder vielleicht mit der Story, wie Soft Machine zu ihrem Namen kamen? «Wir standen unter grossem Druck, uns endlich für einen Namen zu entscheiden. Wir stellten zusammen eine riesig lange Liste auf. Schliesslich fiel die Wahl auf ‹The Soft Machine›, den Titel eines Buches von William Burroughs. Da ich 1961 kurz mit ihm gearbeitet hatte, war es mein Job, sein Einverständnis einzuholen, und so organisierte ich ein Treffen mit ihm an einer Strassenecke in Paddington (Burroughs wohnte zu der Zeit in London, Anm. d. Verf.). Er kam mit über die Augen heruntergezogenem Hut aus einem Laden heraus und sah aus wie ein zerknitterter Versicherungsbeamter von der Lower East Side in Manhatten. Als ich ihm den Grund unseres Treffens erklärte, blinzelte er wie ein alter Alligator und sagte sehr gedehnt: ‹Can’t see wha not!›. Als ich ihn fragte, was er als nächstes vorhabe sagte er: ‹Ahm gonna get a haircut an’ disappear!› In der Tat sah ich ihn nie wieder.»

Oder mit dieser Anekdote? «Eines Tages wanderten Gilli und ich durch die Strassen von Notting Hill, als wir Yoko Ono begegneten. Wir kannten uns alle vom IT-Ball im Roundhouse her (IT – International Times, die berühmte Londoner Hippie-Underground-Zeitung, Anmerkung des Verf.). Yoko verpasste die Gelegenheit nicht, uns sogleich zum Filmen unseres nackten Hinterns einzuladen, und zwar für einen Kunst-Film den sie mit einer Menge von berühmten Hintern drehte. Wir gingen hin und eine an einem Gestell fix befestigte Kamera bannte unseren Hintern für immer auf Celluloid. Wer, so wunderten wir uns, würde das Lächeln unserer Hintern im Film wiedererkennen?»

Daevid Allen, geboren 1938 in Melbourne, Australien, hatte im Bücherladen, in dem er arbeitete, die Beatniks entdeckt. Spontan stieg er 22-jährig ins nächste Flugzeug, flog nach Paris und quartierte sich im «Beat Hotel» ein – im gleichen Zimmer, in dem Allen Ginsberg bis vor kurzem mit Boyfriend Peter Orlovsky gehaust und das Gedicht «Kaddish» geschrieben hatte. Nebst Gregory Corso und Harold Norse wohnte auch Burroughs in dem Hotel – er entwickelte hier zusammen mit Brion Gysin die Cut-Up- Schreibmethode (Texte wurden auseinandergeschnippselt und in neuer Reihenfolge wieder zusammengefügt), die er auch für den Roman «The Soft Machine» anwandte. Allen war ein charmanter Bursche, den offenbar alle mochten. Beim Verkaufen der International Herald Tribune in den amerikanischen Stammlokalen von Paris lernte er den Komponisten Terry Riley kennen. Alsbald formierte er seine erste Band, das Daevid Allen Trio, mit dem er die Musik zur Theaterversion von Burroughs’ Roman «The Ticket That Exploded» beisteuerte.

Irgendwie verschlug es ihn danach nach Canterbury, wo er sich ein Zimmer mietete – und den 16-jährigen Robert Wyatt kennenlernte, den Sohn des Vermieters. Das alles steht allerdings nicht in Allens erstem, vergnüglichen, bizarren, faszinierenden und streckenweise gänzlich unlesbaren Memoirenband «Gong Dreaming 1 – From Soft Machine to The Birth of Gong – the secret vision behind two psychedelic bands: Soft Machine & Gong 1966 – 1975».

Wyatt und Allen starteten Soft Machine zusammen mit Kevin Ayers und einem gewissen Larry Nolan. Nolans englische Herzensflamme arbeitete im Büro von Manager Mike Jeffries (weitere Klienten: The Animals: «The House of the Rising Sun») und überredete diesen dazu, Soft Machine unter Vertrag zu nehmen. Die Band lebte nun quasi kommunal im Haus der offenbar höchst weltoffenen Mutter Wyatt im Südlondoner Stadtteil Dulwich. Statt Nolan wurde Keyboarder Mike Ratledge aus Oxford engagiert – auch er zog in Dulwich ein. Nächste herrliche Anekdote: kurz nach der Bandgründung sei man nach Hamburg verfrachtet worden, um im Star Club in den Fussstapfen der Beatles zu wandeln. Eines Morgens ging Allen mit Lebenspartnerin Gilli Smyth spazieren. Plötzlich wurde Gilli von zwei Frauen gepackt und in einen Kiosk geschleppt. Allen guckte den Kiosk ganz anti-machomässig fünf Minuten lang an, ehe man Gilli wieder in die Freiheit entliess – man hatte ihr zwangsmässig das Loch in den Jeans gestopft: «Cold war on hippies», bezeichnet Allen den Vorfall messerscharf in seinem herrlich exzentrischen Buch.

Nächste Episode: «Jeff Beck – ride that voltage baby». Eines Tages sei er im Marquee die Yardbirds anschauen gegangen, schreibt Allen. «His guitar seemed to have a life of its own, hovering under its own power at hip level while the slim cowboy body of Beck dance gracefully around it, a jaunty smile playing across an untroubled face. The sound that poured from his stack was liquid orchestra of emotional whipcrack. It was a revelation of pure electric guitar power. A whole new instrumental energetic. At that moment I knew that Larry (Nolan) had to go. I HAD to play lead guitar of Soft Machine.»

Tja, und das tat er denn auch. Hendrix trat ins Bild. Allen dagegen war nicht ganz im Bild: «Purple Haze», so sagte er gemäss eigener Erinnerung zum Hendrix-Manager, sei zwar ein schönes Stück Avantgarde-Rock, wäre aber viel zu schräg, um es in die Charts zu schaffen. Hendrix gab dem staunenden Autodidakten auch einen Ratschlag: «Stay with your own thing, man. Play like yourself.» Allen: «Das Problem war, dass ich selber nicht einmal gewusst hatte, dass ich ein Ding hatte. Meine Gitarre klang Scheisse.» Nach Yoko Onos Hinternfilm, Auftritten in archetypischen Psychedeliker-Shows im Alexandra Palace, im Roundhouse, in Joe Boyds UFO-Club und sonstwo im Finsteren, hätten sich dann einige Leute insgeheim gefragt, ob wir vielleicht sogar die Retter der Menschheit seien. «Wie auch immer», so folgert der lustige verwirrte Gitarrenanarchist: «It was a revolution that would permantely shift world ideas on: feminity, masculinity, gender blending (sic), sexuality, birth & death, drugs, war & politics, world government, belief systems, spiritual teachings, positivity, healing techniques, leisure, time, workshare & play power, arts & crafts, cross cultural fertilization, environment, community, ageing, architecture, design, aesthetics, morality of finance & marketing, indigenous cultures, diet & medicine, psychism, divination, paganism, witchcraft, magick, networking, communications, chaos, ESP & UFOS...» So unrecht hat Daevid Allen da eigentlich gar nicht.

Die jazzige Frechheit der frühen Soft Machine war eine Art paläontologische Punk-Attitüde. Allen schrieb ein Gedicht, das später auch Johnny Rotten oder Pete Doherty geschrieben haben könnten:

#-#SMALL#-##-#QUOTE#-#HASHISH TO ASHES
LUST DO DUST
DEODORANT DEATH
TO THE IDOLIZED BUST

POP GOES THE LOLLY
POT GOES THE HEAD
THE PROPHET HAS SPOKEN
AND HERE’S WHAT HE SAID:

GOODNIGHT OLD LADY LIVERPOOL
IN YR MERSEYSIDE SLEEPING JERSEY
THEY ARE WRITING ALL OVER YOUR WALLS

& GOODNIGHT BEATLES
IN YR SWEET DREAM OF PRIVACY
YESTERDAY SHE LOVES YOU
BUT TOMORROW NEVER KNOWS
ITS BEEN A HARD CLEAR LIGHT

& GOODNIGHT STONED STONES IN A
FINAL DREAM OF MYSTIC HYSTERIA
& GOODNIGHT STONED MICK JAGGER
WITH YR BREAKFAST IN BED
WE WONT LET’EM CRUCIFY YOU

& GOODNIGHT BOB DYLAN
MISOGINY CAN’T BEAR ITS OWN PROGENY
STILL EVERYBODY MUST GET STONED
#-#QUOTE#-##-#SMALL#-#

Selbstverständlich ist das stoned sein heute so illegal wie damals. Diese Publikation möchte denn in keiner Weise den Eindruck verbreiten, sie halte die Konsumierung von illegalen Substanzen für akzeptabel. Immerhin dürfte kein Zweifel bestehen, dass Soft Machine den kürzlichen Ausspruch von Arnold Schwarzenegger, Marijuana sei keine Droge, sondern das Blatt einer Pflanze, unterschrieben hätten. Dann hatte Daevid Allen Pech. Drogenpech. Soft Machine waren kurz nach der Aufnahme ihrer ersten Single in Südfrankreich gelandet, wo sie nur schon weil sie aus England kamen, auf direktem Weg in den Olymp gallischer Coolheit aufstiegen. Soft Machine – mausarm, aber Gäste in Häusern, wo selbst Elton John heute Eintritt zahlen müsste. So spielte man bei einer Party auf, bei der wahrscheinlich ganz Alain-Delon- Land zugegen war. Aber Allen merkte es nicht: kurz vor dem Auftritt habe ihm einer einen Streifen Kokain hingestreuselt, und damit sei jeder Kontakt zur Gitarre verloren gegangen. «It was a perfect mystery to me. I played so badly that afterwards, Robert angrily confronted me. He was appalled by my musicianship. He pronounced many a hurtful truth & condemned me totally. But his final twist of the knife got me dead centre. He said: ‹Es ist mir peinlich, musikalisch irgendwie mit Dir verbunden zu sein.› Der Ballon war geplatzt. Ich war total ermordet. Natürlich war ich auf intellektueller Ebene vollkommen mit ihm einig.»

Hätte sich ein Sting je überhaupt überlegt, eine so brutale Selbsteinschätzung in seine Autobiographie zu setzen? Ein Phil Collins? Ein Paul McCartney? Kaum. Und gerade diese brutale Ehrlichkeit den eigenen Schwächen gegenüber macht uns Allen so sympathisch – und lässt uns erkennen, dass nicht alle Hippie-Philosophie die modische Verdammung als Ausguss gedankenfauler Egoisten verdient, die ihr heute so oft zukommt (oft von Menschen, deren Erbitterung darin gründet, dass sie nicht dabei waren). Ironischerweise war Allens Soft-Machine-Karriere am Tag nach Wyatts Tirade sowieso zu Ende: weil er schon früher seine britische Aufenthaltsbewilligung überzogen hatte, wurde ihm die Rückkehr nach Grossbritannien verweigert. Soft Machine gingen ihren weiteren Weg, Allen ging nach Paris zurück und startete Gong. Er hatte grosse Ziele, wollte die Welt verbessern, realisierte aber, dass grosse Sprüche im Zusammenhang mit Rockmusik – oder auch Rock- Jazz- Fusion-Musik – nur absurd klangen. Seine Taktik war revolutionär. Im Versuch, nach den Sternen zu greifen, griff er zur Absurdität. Lachen, so seine Erkenntnis, öffne Barrieren. Witze und bizarre Sprüche, die in der Tat auch lustig waren, würden Widerstände reduzieren – so seine Theorie. Es nützte nichts: im Paris von 1968 waren Beatniks verhasst, auch bei den randalierenden Studenten und Arbeitern. Eines Tages geriet er in eine typische 68-er Demo, war sich seiner Aussenseiterposition aber nicht im Klaren, und wurde prompt sowohl von Studenten wie auch Polizisten vermöbelt.

Allen und Gilli Smyth verzogen sich nach Mallorca und nahmen da ihr erstes Album auf: «Magick Brother». Die eigentümliche Fusion von orientalischer Melodik, hippiehaftem Bongo-Geklapper und jazzigen Instrumentaleinlagen klingt noch heute wie nichts anderes. Erstaunlicherweise vermochte die anarchistische Combo dem Jung-Entrepreneur Richard Branson 1971 einen Vertrag für seine neu gestartete Plattenfirma Virgin zu entlocken. Getreu seinem bei Alfred Jarry und den Pataphysikern abgegucktem Konzept, die Skeptiker durch Gelächter zum Kern seiner Friedens- und Sex- Religionsphilosophie zu führen, hiess das erste wirkliche Gong-Album «Camembert Electrique». Verblüffenderweise ist es noch heute in den Second-Hand-Shops keine Rarität: Richard Branson verkaufte das Album zum Schlagerpreis von 49 Pence und erzeugte mit der Kombination von absurder Hippie-Philosophie und scheinbar absurder Preispolitik einen neuartig surrealen, tangentialen Werbeeffekt für seine Plattenfirma Virgin.

Die ersten vier Gong-Alben – neben «Camembert Electrique», «Flying Teapot», «Angel’s Egg» und «You» – setzten Allens These von «Bedeutung durch Absurdität» wunderbar in musikalische Szene. Ähnlich wie die Frühwerke von Frank Zappas Mothers of Invention scheut diese Musik keine Grenzen. Ein Stück wie «Sold To the Highest Buddha» beginnt wie der Jazzklassiker «Take Five», nur um dann in ein Lied zu münden, das auch aufs Debüt-Album von Roxy Music gepasst hätte. Der Sound, die Stimmung, die Botschaft von Gong in dieser Frühphase war einzigartig. Wir spüren, dass uns hier ein Original in seine Originalwelt einführen will, wir schnuppern daran, wir amüsieren uns ob den putzigen fliegenden Teetöpfen, die im Mittelpunkt dieser lustigen Philosophie zu stehen scheinen – doch letztlich können wir von dem Geist nur einen Schleier erfassen. Die Musik aber, die bleibt. Eine Mischung aus freiem Jazz, Syd-Barrett-Melodien und zappaesken Vorstössen in die Gefilde wohlkomponierter Versponnenheit. Dazu grandiose selbstironische Refrains wie der: «Hare hare Supermarket, hare hare Supermarket, hare Supermarket.» Wer kann diesem Charme schon widerstehen?

PS: Daevid Allen stieg 1974 aus der eigenen Band Gong aus. Saxophonist Didier Malherbe und Drummer Pierre Moerlen führten sie weiter und produzierten fortan seichten Ambient-Jazz. Allen hat seither allerhand Bands geführt – darunter Planet Gong und New Gong (mit Bill Laswell). In den letzten Jahren war er mit you’N’gong, Acid Mothers Gongs (mit Mitgliedern von Acid Mothers Temple), Guru and Zero sowie University of Errors unterwegs. Notabene ohne auch nur eine Prise von seinem optimistischen Enthusiasmus fürs Wühlen in den Konventionen unseres Alltages verloren zu haben.

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