2. M�rz 2012

«Messies – Ein schönes Chaos» von Ulrich Grossenbacher

Ordnung ist (nur) das halbe Leben

Es sind Menschen, die sammeln. Und zwar in einem Masse, dass ihnen die Herrschaft über ihr Leben abhanden kommt: Ulrich Grossenbachers «Messies – Ein schönes Chaos» erzählt auf subtile Art und Weise die Geschichte von vier solcher Menschen.

Von Rudolf Amstutz
Messie Elmira in ihrer Wohnung. Foto: © fair & ugly
Elmira weiss kaum mehr, wie sie sich in ihrer eigenen Wohnung bewegen soll. Meterhoch türmen sich Zeitungen und Musikkassetten. Man müsste mehrere Leben haben, meint sie in Ulrich Grossenbachers feinsinnigem und liebevollem Porträt über Menschen, die unter dem Messie-Syndrom leiden. Elmira sammelt Kultursendungen auf Kassetten. Und ist dabei mit den Aufnahmen derart beschäftigt, dass sie sich um den Inhalt nicht mehr kümmern kann. Vor dem Fernseher türmen sich Stapel, der Bildschirm ist kaum mehr sichtbar. Selbst das Bett wurde von der Sammelleidenschaft bereits eingeholt. Deshalb möchte sie mehrere Leben: eines für die Literatur und eines für die Musik – um dies alles zu verarbeiten, zu verinnerlichen.

Elmiras Leben zeigt eindrücklich, dass Messies ihr Leben aus der Hand gegeben haben: die Dinge, die sie horten, haben längst die Macht über ihren Wohnraum eingenommen. So wie bei Karl und Trudi, in deren Haus ist bloss noch die Küche ein Hort der freien Bewegung. Besuch kommt bei ihnen schon lange keiner mehr, selbst die Kinder bleiben fern. Und bei Arthur leidet gemäss der Vorstellungen der Gemeinde, bereits deren guter Ruf. Arthurs Bauernhof und der beachtliche Umschwung sind übersät mit alten Traktoren, Reifenstapeln, Baggern und Lastwagen. Das Image des unbekümmerten Wanderns in der eindrücklichen Landschaft des Berner Oberlands wird durch die Präsenz von Arthur und seinen Sachen arg in Mitleidenschaft gezogen. Sagt die Gemeinde. 

Nur nichts wegwerfen, lautet beim Messie die Devise. Zu kostbar der Gegenstand oder zu interessant das Wissen, das man daraus ziehen könnte. Doch eine substanzielle Verwaltung des Gehorteten ist längst aussichtslos geworden. Im Falle von Karl mag Trudi nicht mehr: entweder trennt er sich von seinen Schrauben, Schlössern und alten Radios oder sie verlässt ihn.

Grossenbachers eindrücklicher Dokumentarfilm ist zwar kein Plädoyer für das Messietum, bringt aber den Protagonisten den nötigen Respekt entgegen, den sie auch verdienen. Denn Messies sind nicht – wie oft kolportiert – verwahrloste Menschen, die im Schmutz leben. Im Gegenteil: Studien belegen, dass Messies oft gebildete und kommunikative Menschen sind, deren Interessen allerdings zu einem krankhaften Zwang führen, Informationen zu sammeln und zu horten. Der geistige Hunger führt zur physischen Überladung des Lebensraumes. Die Folge davon sind meist Isolation und soziale Verwahrlosung.

Kein Zufall also, dass in zweifelhaften Fernsehreportagen oft plakativ und effekthascherisch ein abschätziges Bild der Messies gezeigt wird. Doch diese Zurschaustellung der chaotischen Zustände mit einer Prise Mitleid ist Grossenbachers Sache nicht. Ohne zu werten, schildert er das Schicksal seiner Protagonisten. In witzigen, skurrilen, aber auch in nachdenklichen und traurigen Szenen vermag Grossenbacher feinfühlig die Befindlichkeit und die Ambivalenz dieser Menschen zu visualisieren. 

Am besten zeigt sich das Schicksal eines Messies in jener Szene, in der Trudi Karl vor die Wahl zwischen Ordnung und Trennung stellt. Zur Priorität unfähig, opfert Karl die Zweisamkeit kampflos zugunsten seiner Sachen. Der inneren Verzweiflung Karls stehen die anderen gegenüber: Elmira, die Grossenbacher übrigens mit einer Helmkamera ausrüsten musste, um ihre Wohnung einzufangen, hat das Alleinsein akzeptiert und scheint im Chaos Frieden gefunden zu haben. Derweil Arthur mit seinen hinterlistigen Fragen den «Biedermännern» von Gemeinde und Kanton immer wieder ein ungemütliches Spiegelbild vorhält. Und dann gibt es auch noch den glücklichen Messie: Thomas, ein Tüftler, der sich inmitten seines von mechanischen Teilchen prall gefüllten Labors sichtlich wohl fühlt und dies mit dem Tragen eines Barcelona-Leibchens von Lionel Messi denn auch genüsslich demonstriert.

#-#IMG2#-##-#SMALL#-#Messies – Ein schönes Chaos (Schweiz 2011). Regie und Kamera: Ulrich Grossenbacher. Buch: Ulrich Grossenbacher und Thomas Moll. Musik: Resli Burri.#-#SMALL#-#



#-#SMALL#-#«Messies» Trailer »

 

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