Das Fernsehen boomt und Hollywood hat das Nachsehen
Wie ein tausendseitiges, spannungsgeladenes Buch
«True Detective», «Game of Thrones» oder «House of Cards»: Fernsehserien boomen, während die Qualität von Hollywood-Filmen dramatisch abgenommen hat. Der Fernsehjournalist Alan Sepinwall erzählt und analysiert in seinem Buch «Die Revolution war im Fernsehen» nun die Evolution der TV-Serien.
von Rudolf AmstutzEr werde wohl in Zukunft nie mehr einen Film machen, erklärte David Lynch vor zwei Jahren. Das war nicht etwa ein finanzieller Hilfeschrei des Kultregisseurs von Filmen wie «Eraserhead», «Blue Velvet» oder «Mulholland Drive», dafür hat der Mann genügend kreativen Auslauf, ist er doch auch noch erfolgreicher Musiker und Maler. Nein, Lynch versuchte auf die desolaten Zustände hinzuweisen, mit der ein unabhängiger Filmemacher heute zu kämpfen hat. Geld für ein neues Filmprojekt hätte er via Crowdfunding im Nu beisammen, doch die Möglichkeit eine Leinwand zu finden in einer Welt, in der die meisten Kinosäle in den USA von zwei Grosskonzernen betrieben werden, wäre für einen Unberechenbaren wie ihn fast ein Ding der Unmöglichkeit.
Es ist allerdings beileibe nicht so, dass es Hollywood deswegen besser ginge. Im Gegenteil. 2014 war einmal mehr ein katastrophales Jahr für die einstige Traumfabrik. «Guardians of the Galaxy», «The Lego Movie» oder «Godzilla» gehörten zu den einträglichsten Produktionen, allesamt produktübergreifende Projekte, die neben dem Film auch Merchandising, Spielzeug, Games und andere lukrative Nebeneinnahmen versprechen. Dass diese Ausrichtung keine Garantie für den Erfolg verspricht, unterstreichen «The Amazing Spider-Man 2» oder «The Hunger Games: Mockingjay, Part 1», die unter den finanziell notwendigen Erwartungen geblieben sind.
Angefangen hat der langsame aber stetige Untergang von Hollywood, als vor ein paar Jahren in den USA die DVD-Umsätze einzubrechen begannen. Die grossen Studios suchten sich neue Absatzmärkte und fanden sie in Schwellenländern wie China und Indien. Die Filmproduzentin Lynda Obst, die einst mit romantischen Komödien wie «Sleepless in Seattle» oder «The Fisher King» grosse Erfolge feierte, hat mit «Sleepless in Hollywood» eine humorvolle Abrechnung in Buchform veröffentlicht. Gute Drehbücher, so Obst, seien im heutigen Hollywood nicht mehr gefragt, weil geistreiche Dialoge mit Wortwitz in einigen Märkten nicht funktionieren würden. Die Schlussfolgerung: Hollywood besinnt sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, der internationale Tauglichkeit garantiert.
Kleinere, unabhängige Produktionen wie Richard Linklaters «Boyhood» oder Wes Andersons «The Grand Budapest Hotel» vermögen zwar die Ehre des Filmlandes USA zu retten, ihre finanzielle Bedeutung ist aber verschwindend klein. «In Hollywood geht es einzig um Dollars und Cents» verriet mir Liam Neeson kürzlich in einem Gespräch. Es würden immer die selben Ideen aufgewärmt, da erstaune es nicht, dass die intelligenten Menschen Richtung Fernsehen abgewandert seien, fuhr Neeson fort. In der Tat ist der Grossteil des kreativen Potenzials an Drehbuchautoren und Produzenten mittlerweile an einem Ort tätig, der vor 15 Jahren seitens Hollywoods noch mitleidig belächelt wurde.
Auch unser Verständnis hat sich durch Serien wie «Sex and the City», «Breaking Bad», «24» oder «True Blood» massiv verändert. Die zwei Stunden, die das Kino bietet, scheinen mittlerweile zu kurz. Wir wollen eintauchen in eine Welt, die sich wie ein tausendseitiges, spannungsgeladenes Buch anfühlt und uns die Charaktere in all ihren Facetten vorführt. Unser Anspruch ist mit jeder neuen Serie gewachsen und die Drehbuchautoren scheinen sämtliche kreativen Freiheiten zu besitzen, unsere Ansprüche zu befriedigen.
«Die Revolution war im Fernsehen» heisst das Buch des bekannten US-Fernsehkritikers Alan Sepinwall, der hautnah miterlebt hat, wie das hässliche Entlein Fernsehen zum ultimativen Erzähler von Geschichten geworden ist. Sepinwall gelingt es in seinem Buch, die Geburtsstunde des TV-Revivals zu orten. Wie überall, wo Neues entstehen soll, bedarf es Menschen mit Visionen und Risikobereitschaft. In diesem Fall waren es Chris Albrecht, Chef von HBO, sowie Tom Fontana und Barry Levinson, die beide in den 1990er Jahren für die NBC-Krimiserie «Homicide: Life on the Streets» verantwortlich waren. Albrecht gab den beiden völlige Freiheit und eine Million Dollar für einen Pilotfilm. Das Resultat war «Oz», eine Serie über ein Gefängnis, die sämtliche geltenden Fernsehregeln missachtete: Es gab keine Trennung von Gut und Böse, Hauptprotagonisten kamen völlig überraschend ums Leben und die Brutalität des Gefängnisalltags wurde einem in einer fast dokumentarisch anmutenden Authentizität vorgeführt. Das war 1997. Mit «Oz» begann die Blütezeit der Fernsehserien, wie wir sie heute schätzen und begehren. HBO lancierte darauf die epische Chronik «The Sopranos» und schreckte auch nicht vor einer komplexen Serie wie «The Wire» zurück, die bei vielen als die Beste aller Zeiten gilt. Jede und jeder, der mit «House of Cards», «True Detective» oder «Game of Thrones» zum Serienjunkie geworden ist, sollte sich die Analyse von Sepinwall zu Gemüte führen, weil er die inhaltliche und formale Revolution dieses Genres detailreich erläutert.
Hinter dem künstlerischen Potenzial verbirgt sich natürlich auch ein wirtschaftliches: Heute buhlen Hunderte von Serien um die Gunst, weil sich damit das Publikum über mehrere Jahre an ein einziges Produkt binden lässt. Selbst der ehemalige Videoverleiher Netflix sowie der Buchhandelsriese Amazon produzieren mittlerweile dank der grenzenlosen Möglichkeit des Internet-Streamings eigene Serien. Millionen von Abonnenten garantieren den Erfolg eines Produktes, das dem Konsumenten kaum noch Zeit lässt, sich im Kino einen Film anzusehen. Womit wir wieder bei David Lynch sind: auch er plant sein TV-Comeback – 2016 mit der Fortsetzung seiner legendären Serie «Twin Peaks».
#-#IMG2#-##-#SMALL#-#Alan Sepinwall. Die Revolution war im Fernsehen. Luxbooks. Gebunden. 457 Seiten.
Alan Sepinwalls Blog «What's Alan Watching» »
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