7. Dezember 2013

Gespräch mit Simon Baumann, Regisseur von «Zum Beispiel Suberg»

«Ich möchte mir meine individuelle Herangehensweise erhalten»

Think global, act local: Simon Baumann erzählt in seinem Film «Zum Beispiel Suberg» auf aussergewöhnliche Weise vom Verschwinden der Dörfer und von Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. TheTitle hat den 34jährigen Regisseur zum ausführlichen Gespräch getroffen.

Interview: Rudolf Amstutz
Hat sein eigenes Dorf entdeckt: Simon Baumann vor seinem Haus in Suberg. Foto: © Joelle Lehmann

Nirgendwo sonst in der Schweiz warten so viele Menschen auf den Zug wie im kleinen Dorf Suberg, das auf halbem Weg zwischen Bern und Biel liegt. Allerdings warten sie nicht auf dem Perron des kleinen Bahnhofes, sondern in ihren Autos vor der geschlossenen Schranke des Bahnüberganges. Viermal pro Stunde wird so dieses Dorf, das sich dem Individualverkehr verschrieben hat, in zwei Hälften geteilt. Wie andere Gemeinden der ländlichen Schweiz wollte auch Suberg an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben – und nun wird der Ort vom zunehmenden öffentlichen Verkehr links liegengelassen. Suberg, zersiedelt wie der Rest der Schweiz, verlor über die Jahre seine Identität. Es gibt keine Läden, keine Poststelle und der einzige existierende Gasthof verköstigt als herausgeputztes Gourmetrestaurant nur betuchte Kunden aus der Stadt. Bauernhöfe gibt es noch deren zwei, dafür zahllose von Landluft suchenden Menschen bewohnte Einfamilienhäuser. Das Bauerndorf ist zum Schlafdorf geworden.

Simon Baumann, Regisseur und Suberger, hat über sein Dorf einen wunderbaren Film gemacht. «Zum Beispiel Suberg» zeigt – auch anhand seiner eigenen Familiengeschichte – wie all dies geschehen konnte. Dabei ist es Baumann gelungen die Dorfchronik subtil mit Gesellschaftskritik zu koppeln. Analytisch, hintergründig, bisweilen ironisch und an einigen Stellen höchst poetisch, zeichnet «Zum Beispiel Suberg» eine Lebens- und Dorfgeschichte nach, die auch anderswo auf dieser Welt hätte geschehen können. Oder wie es doch so treffend im Film heisst: «Man sagt, die Welt sei ein Dorf geworden. Nehmen wir an, dieses Dorf heisse Suberg, dann kann man hier die ganze Welt sehen.»

Das Gespräch mit Simon Baumann fand in dessen Haus in Suberg statt.


Suberg steht stellvertretend für die Zersiedelung und damit auch die Dorfentwicklung in der Schweiz. Fährt man mit dem Zug von Bern nach Biel, dann befindet man sich bildlich gesprochen eigentlich permanent in Suberg.

Simon Baumann: Ja, aber nicht nur da. Man kann auch zwischen Genf und Zürich im Zug sitzen und es sieht genauso aus.

Was war denn der ausschlaggebende Grund, sich filmisch mit dem Heimatdorf auseinanderzusetzen?

Die Frage, weshalb sich Suberg vom Bauerndorf zum Schlafdorf entwickelt hat, beschäftigte mich schon seit Jahren. Als ich gemeinsam mit meiner Freundin Kathrin das Haus, in dem wir nun wohnen, kaufen konnte, war uns klar:  Nun sind wir definitiv in Suberg gelandet. Hier werden wir wohl länger bleiben. Und so wurde es an der Zeit, die Dorfbewohner kennenzulernen. Obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin, kannten wir zuvor vielleicht fünf Leute. Seit dem Film ist das ganz anders.

Um Dich dem Dorf anzunähern, hast Du Dich selbst und Deine Lebensgeschichte in den Film integriert. War dies von Anfang geplant?

Als wir für den Film zu recherchieren begannen und einen Aufruf an die ganze Dorfbevölkerung lancierten, uns doch alte Fotos zur Verfügung zu stellen, da wurde relativ schnell klar, dass ich als Person nicht aussen vor bleiben konnte. Die Geschichte meines Dorfes gewissermassen von aussen und in der Theorie abzuhandeln, das hätte nicht funktioniert.

Die Geschichte der Familie Baumann ist auch repräsentativ für die Entwicklung Subergs. Der Grossvater, ein hoch angesehener Bauer, die Eltern politisch links und sehr engagiert und die aktuelle Generation mit Dir und Deinem Bruder, der den elterlichen Biohof übernommen hat.

Genau. Ich erzähle von der längst verloren gegangenen Dorfkultur, die zu den Zeiten meines Grossvaters lebenswichtig war. Dann kam mit meinen Eltern die 1968er-Bewegung nach Suberg und genau wie sie damals, repräsentiere ich heute den aktuellen Zeitgeist: individualisiert, überregional, und  mit den über die Welt verstreuten Freunden übers Internet kommunizierend.

Die virtuelle Kommunikation ist wesentlich einfacher als der persönliche Kontakt.

Oh ja. Leute treffen, in den Männerchor eintreten, diese Dinge lesen sich auf dem Papier so leicht. Doch dann musste ich für den Film persönlich zu den Menschen gehen, von Haustür zu Haustür, davor hatte ich schon Bammel. Grundsätzlich bin ich eher schüchtern, ich musste mich deshalb überwinden, vor der Kamera zu stehen. Aber ehe man es sich versieht, ergaben sich während dem Dreh Situationen, in denen ich loslassen konnte. Da entwickelte der Film eine ganz eigene Dynamik. Ich denke, dass ich nun Teil der Handlung geworden bin, verleiht dem Film seine Authentizität. Zudem wäre es gegenüber den anderen Mitwirkenden unfair gewesen, wäre ich permanent hinter der Kamera geblieben.

Es gibt da in einer Szene diesen Wutbüger, der Dir äusserst aggressiv begegnet, weil er der Meinung ist, dass Deine Eltern daran schuld sind, dass in Suberg anstelle einer Unterführung dieser Bahnübergang steht, der den Verkehr mehrmals täglich zum Erliegen bringt.

Die Szene war nicht ganz ungefährlich (schmunzelt), aber letztlich wichtig für den Film. Dieser Mann äussert gewisse Gefühle, die andere im Dorf vermutlich auch haben, aber aus Respekt gegenüber mir nie offen aussprechen würden. Es ist nun mal so: Man hat sich über meine Eltern aufgeregt und einige tun es heute noch.

Wie kam dann der Kontakt zu den Leuten zustande?

Ich realisierte relativ rasch, dass ich gerade bei der älteren Generation einen wesentlich leichteren Zugang hatte, weil die sich noch an meinen Grossvater erinnern konnten, der ja im Dorf hochgeschätzt war. Der ehemalige Viehhändler, der im Film eine tragende Rolle hat, ist so ein Beispiel.

Gerade die Geschichte des alten Viehhändlers zeigt: Der Film wurde zur rechten Zeit realisiert. In ein paar Jahren wird es die Generation des Grossvaters nicht mehr geben.

Das ist so. Es kommen Zeitzeugen zu Wort, ohne die der Film nicht zu machen gewesen wäre.

Damit ist «Zum Beispiel Suberg» nicht nur ein Film über die zunehmende Verstädterung der Schweiz, sondern auch für das Dorf ein einmaliges Zeitdokument.

Ja, aber gleichzeitig war mir wichtig, dass wir die alten Zeiten nicht allzu sehr romantisierten. Früher war nicht alles besser. Deshalb kommt auch die damalige Rolle der Frau zur Sprache. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich Kathrin Gschwend als Koautorin an meiner Seite wusste und mit Katharina Bhend als Cutterin eine zweite Frau mit von der Partie war. Durch eine rein männliche Perspektive wäre die Sicht auf das Dorf nicht vollständig gewesen. Man muss sich im Klaren sein: zu Grossvaters Zeiten hatten die Frauen von Suberg nicht viel zu melden.

Gerade durch diese Kritik an der älteren Generation erhält der Film auch die nötige Balance. Nicht nur das Neue ist partout schlecht, an der Entwicklung waren alle mehr oder weniger im selben Ausmass beteiligt.

Ich hatte lange Zeit das Gefühl, das Thema einer Dorfentwicklung über die Jahrzehnte hinweg wäre zu komplex, um es auf einen Nenner runterbrechen zu können. Verallgemeinerungen sind gefährlich. Es gibt ja stets auch die Ausnahme von der Regel. Vielleicht sind ja sogar die Neuzuzüger, was das soziale Leben betrifft, aktiver als die Alteingesessenen. Zudem ist die Individualisierung ein globales Phänomen und die Verstädterung lässt sich in der gesamten Schweiz beobachten. Es will zwar niemand eine völlig überbaute Schweiz, aber alle wollen ihr Eigenheim mit Umschwung.

Der winzige Dorfladen, den man im Film sieht, hat eine unglaublich grosse Wirkung: Plötzlich ist auf wenigen Quadtratmetern wieder ein soziales Leben da. Man fragt sich, weshalb dies nicht schon früher jemandem in den Sinn kam.

Der Laden ist kein rentables Geschäft und wird von einem Rentnerpaar betrieben. Aber ihnen war die soziale Verantwortung eines Dorfladens wichtig. Da spricht man miteinander und man nimmt sich Zeit für den Kunden, und zwar so, dass sich draussen oft eine Schlange bildet. Aber dieser rückwärtige Trend lässt sich auf der ganzen Welt beobachten. Etwa in New York, wo man durch Bürgerinitiativen und Gemeinschaftsgärten das soziale Gefüge wieder herzustellen versucht. Oder die Tauschbörsen, die im Internet Erfolge feiern. Das sind für mich Beispiele einer subversiven Entwicklung, weil sie sich nicht an dem allgemein geltenden Wachstumsgedanken orientieren.

Da kann es dann passieren, dass eine Millionenstadt wie New York plötzlich weit weniger anonym erscheint als das Schweizer Mittelland. Ein typisches Beispiel für die Entsozialisierung ist der Suberger Bahnübergang. Dort war ja früher der Dorfplatz. Man trifft sich dort zwar nicht mehr, aber man ist – bei geschlossenen Schranken – immerhin gezwungen, ein paar Minuten nachzudenken.

Meistens wird wohl über meine Eltern nachgedacht (lacht). Für mich ist dieser Platz aber auch eine Metapher: Nicht nur Suberg, fast alle Dörfer, wurden dem Diktat des Autos unterworfen. Der Gedanke, dass das Auto vor allem freie Fahrt bedeutet, und nun steht da dieser Bahnübergang, als Relikt einer früheren Zeit, in der das Warten als Handlung noch akzeptiert war, heute aber nicht mehr toleriert wird. Das Warten wird hier als Katastrophe wahrgenommen, auch das ist typisch für unsere Zeit, in der man keine mehr hat. Also, ich nehme mich da selber nicht aus. Auch ich habe mich bei geschlossenen Barrieren schon genervt. (lacht)

Deine Eltern sind dann nach Frankreich ausgewandert. Sie waren mit ihrer grünen und sozialdemokratischen Politik eigentlich der Zeit voraus. Heute sind Bioprodukte en vogue und Biobauern sowieso.

Meine Mutter und mein Vater haben in den 1990er Jahren mit politischen Initiativen für eine neue Landwirtschaftspolitik gekämpft. Sie setzten sich ein für die kleinen Bauernbetriebe, die das Dorf beleben und für eine naturnahe Produktion vom Menschen für den Menschen. Dafür wurden sie gerade von Schweizer Bauern zum Teil heftigst angefeindet. Jetzt da die Nachfrage für solche Produkte immer mehr zunimmt und auch die Grossverteiler den regionalen, naturnahen Produkten mehr Gewicht verleihen, hätte ich auch einen Film über meine visionären Eltern machen können, aber so wollte ich dann doch nicht auftreten (lacht).

Im Film wird eine alte Filmaufnahme gezeigt, wo Du als Zehnjähriger sagst, Du möchtest Astronaut werden. Was ist schiefgelaufen?

(lacht) Mit zwölf wollte ich dann Anwalt werden, weil ich den Kennedy-Mord aufklären wollte, und danach Musiker. Und über diese bin ich dann letztlich Filmemacher geworden. Ich habe eine Ausbildung in Medienkunst. Da liegt der Schwerpunkt auf Klang. Ich half mit, Filme zu vertonen, dabei nervte ich mich immer, weil ich beim Inhalt nicht mitreden durfte. Kommt hinzu, dass ich mich während der Schule derart intensiv mit Musik beschäftigt habe, dass mir dabei ein Teil der notwendigen Naivität abhanden gekommen ist. Ich wusste zuviel und analysierte unentwegt. Übers Filmemachen weiss ich heute noch nicht allzu viel, deshalb kann ich da immer noch recht naiv an die Sachen herangehen. (lacht)

Bei kommenden Filmprojekten könnte ja diese Naivität auch wieder verlorengehen. Angst?

Na ja, einerseits Angst, ich wüsste plötzlich doch zu wenig und müsste mich noch ausbilden lassen, andererseits die Furcht, dass mir gerade deswegen die Unverbrauchtheit verloren gehen könnte. Ich möchte mir meine individuelle Herangehensweise erhalten.

Diese erfrischende und persönliche Annäherung ist eine der zahlreichen Qualitäten des Films.

Wenn wir diesen Stoff im Rahmen einer Filmschule entwickelt hätten, dann hätte es vielleicht als Erstes geheissen: «Schon wieder ein Film über den Grossvater. Das macht jeder, lass den doch mal weg.» (grinst). Solche Diskussionen hätten mich gehemmt.

Regisseure denken unweigerlich auch immer an den Erfolg ihres Films, denn nur dann lässt sich in der Folge wieder genug Geld auftreiben, um das nächste Projekt zu starten. Ich nehme an, Du hast bereits Ideen für einen nächsten Film?

Ich habe einige Ansätze zu bestimmten Themen im Kopf, die mich interessieren. Aber ich habe keineswegs das nächste Filmprojekt bereits im Köcher. Ich bin der Meinung, dass die Form zum Inhalt passen muss. Wäre ein Radiofeature passender für mein nächstes Thema, dann würde mich diese Form reizen. Oder auch ein Sachbuch.

Man könnte zumindest denken – betrachtet man nun Deine beiden Filme «Image Problem» und «Zum Beispiel Suberg» – dass Du Dich thematisch weiterhin mit der Schweiz beschäftigen wirst.

Klar beschäftigt mich das Thema Schweiz weiterhin: wir sind das reichste Land der Welt, gemessen am durchschnittlichen Einkommen, und ich stelle fest, dass sich bei uns eine gewisse Arroganz breitmacht. Wir sind der Meinung, dass wir alles besser können als der Rest der Welt und es uns so gut geht, weil wir auch fleissiger sind als andere – was natürlich nur zum Teil der Wahrheit entspricht. Wir sind nämlich auch egoistischer als andere. Rohstofffirmen und Grossbanken können bei uns praktisch machen, was sie wollen und Steuern bezahlen sie teilweise auch nicht. Solche Sachen regen mich ungemein auf. Zudem mangelt es uns am Bewusstsein, unser Land als Ganzes und in einem grösseren Kontext zu sehen. Es reicht uns, wenn wir in unserem privaten Umfeld glücklich sind und erfreuen uns an unserem Wohlstand, aber um die Rolle der Schweiz in einer globalisierten Welt, da machen wir uns keine Gedanken.

«Zum Beispiel Suberg» ist in seiner Art eine atypische Annäherung an diese Thematik.

Oft zeigen Dokumentarfilme typisch schweizerische Traditionen wie etwa einen Alpaufzug, den es aber in Wirklichkeit so kaum mehr irgendwo zu erleben gibt. Und Schweizer Spielfilme handeln oft von Milieus, die für die Schweiz kaum repräsentativ sind. Weshalb schauen wir nicht öfter hinter die Machenschaften der Grossen, hinters Geld an der Goldküste – da denke ich existiert eine Marktlücke.

Vieles was in der Schweiz produziert wird, wirkt an den Rändern abgeschliffen und oftmals auch artifziell oder kopflastig.

Genau. Ich wünschte mir, dass mehr Filmemacher einen persönlicheren Zugang zu einem Stoff wählen würden. Und zwar nicht bloss auf dem Arthouse-Nischen-Level, sondern gerade bei Projekten für ein breiteres Publikum. Das haben wir bei «Suberg» ja versucht. Wenn nicht, hätte ich den ganzen Film hindurch die neblige Strasse gezeigt und hätte meine Geschichte dazu erzählt. Ein Film muss ja letztlich mit dem Publikum kommunizieren können. Ich mag auch sonst persönlich Gefärbtes, gerade auch journalistische Texte. Wir leben heute inmitten von Social Media, von Facebook und Twitter, da müsste doch eine solche Herangehensweise für viele möglich sein.

Ist denn ein Spielfilm für Dich eine Möglichkeit?

Das ist ein ganz anderes Metier als der Dokumentarfilm. Aber die Mischform finde ich sehr interessant, da denke ich, gibt es sehr viele Möglichkeiten. «Image Problem» und «Suberg» haben ja bereits etwas an den Genregrenzen gekratzt. Diesen Weg möchte ich weiter verfolgen. Bedingung dafür ist aber, dass «Suberg» ein kommerzieller Erfolg wird, ansonsten wird die Realisierung eines neuen Projektes schwierig. Im Falle dieses Films hatten wir Glück und gewannen den «Dokfilm»-Wettbewerb des Migros-Kulturprozent, der uns die Finanzierung sicherte. Aber bei «Image Problem» war es enorm schwierig, das nötige Geld aufzutreiben, weil er eine unkonventionellere Erzählstruktur besitzt.

Der Schweizer Filmmarkt ist ja auch sehr klein.

Das stimmt. Es würde helfen, wenn uns Schweizern etwas Ähnliches gelingen würde wie den Dänen mit der Fernsehserie «Borgen». Die konnten sie dann in unzählige Länder weiterverkaufen. Der Markt für mein Film ist – plus ou moins – auf die Deutschschweiz beschränkt. Ohne staatliche und private Filmförderung würde der Schweizer Film nicht existieren.

Vielleicht bräuchte es einfach mehr Mut zum Risiko.

Ich weiss auch nicht, weshalb wir nicht risikofreudiger sind. Wir haben in der Schweiz enorm viel Sicherheit. Und gemessen an unserer Geschichte sind wir ja noch nicht sehr lange ein reiches Land, erst seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Antrieb der Generation des Viehhändlers, den ich im Film porträtiere, war wohl die Angst vor der erneuten Armut. Und die Angst meiner Generation ist der Wohlstandsverlust, obwohl wir uns das kaum mehr vorstellen können, dass es uns mal schlechter gehen könnte.

Die alte Einsicht: Uns geht es einfach zu gut.

Das ist auch der Grund, weshalb im Dorf niemand miteinander zu reden braucht. Ginge es uns schlechter, wären wir auf gegenseitige Hilfe angewiesen. Dann würden wir nicht in den nächsten Baumarkt fahren, um eine Bohrmaschine zu kaufen, sondern eben den Nachbarn fragen, ob er die seine ausleihen würde. Das wäre dann schon der erste Kontakt. Früher haben die Bauern ja auch nicht aus Nächstenliebe zusammengearbeitet, sondern weil sie sich zum Überleben so arrangieren mussten. Heute pflegen wir den Luxus der Isolation, wir sind auf niemanden mehr angewiesen. Materiell haben wir alles, aber vielleicht fehlt zum vollkommenen Glück dann letztlich doch der soziale Kontakt.

Internet und Hauslieferdienste sorgen auch nicht dafür, dass wir uns freiwillig aus unserer Isolation begeben.

Interessant ist ja, dass wir seit den siebziger Jahren nicht mehr glücklicher geworden sind. Bis damals hatte man noch Wünsche: ein Auto kaufen, die erste Waschmaschine. Heute gibt es diese Träume nicht mehr, es gibt immer neue Autos und neue Waschmaschinen (lacht) und wir haben den Stress, permanent auf der Höhe sein zu müssen.

Kommt hinzu, dass die Hersteller auch keine Produkte verkaufen, die durch lange Lebensdauer glänzen. Wir können uns nicht um die Gemeinschaft kümmern, weil wir inmitten dieser materiellen Schlacht gefangen sind. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass wir uns stündlich noch mit Dutzenden von Facebook-Einträgen und dem Lesen von E-Mails beschäftigen müssen. Da liegt ein persönlicher Kontakt einfach nicht mehr drin.

Es ist halt auch die Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche. Hier im Dorf lässt sich dies ja bestens beobachten. Meine Grossmutter erzählte mir, dass sie damals praktisch kein Geld hatten. Man lebte vom Tauschgeschäft, hat sich gegenseitig ausgeholfen, mit dem, was der eine hatte und der andere brauchte. Geld war damals etwas Anrüchiges. Heute orientiert sich alles am Wert des Geldes. Was nicht rentabel ist, hat entsprechend auch keinen Wert mehr. Das ist halt der Siegeszug des Neoliberalismus, des Kapitalismus im allgemeinen, der nach dem Fall der Mauer begonnen hat. Meine Eltern sind in einer Welt aufgewachsen, in der es zwei gegensätzliche Modelle gab, die permanent auf dem Prüfstand waren. Ich, mit Jahrgang 1979, ich kenne nur den Kapitalismus. Und ich sage nicht, dass dieses System schlecht ist, ich finde einfach die unkritische Haltung gemeingefährlich, die man heute gegenüber diesem Wachstumsdenken hat.

Früher ging man noch auf die Strasse, doch heute, da der Mittelstand langsam bröckelt, sind die Menschen in ihrer privaten Umgebung ruhig gestellt.

Ja, es hat sich parallel ja auch ein neues Menschenbild entwickelt. Man misst die Qualitäten einer Person heute an ihrem ökonomischen Erfolg. Die persönlichen Freiheiten sind heute für viele auch wichtiger als das soziale Gefüge. Diese Einsichten sind ja auch im Film verborgen, nur werden sie nicht auf solch explizite Art und Weise vermittelt. Bei seiner Erstaufführung im Rahmen des Jubiläumsfestes des Männerchors in unserer Turnhalle, da erhielt ich anschliessend von vielen Leuten Lob, dass ich diese Problematik angesprochen hätte. Auch von Personen, die dem bürgerlichen Lager angehören und in vielen Punkten eine andere Meinung vertreten.

Der Film als Spiegel der Gesellschaft und auch als Anstoss, sich mal über grundsätzliche Dinge Gedanken zu machen.

Genau. Und wenn ich das erreicht habe, ist das mehr als ich zu hoffen wagte. So naiv bin ich nun auch wieder nicht, dass ich glaube, ich könnte die Menschen dazu bewegen, anders zu leben. Aber wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, dass wir unser Dorf in den nächsten drei Jahrzehnten nicht so gestalten wir wir dies in den letzten dreissig Jahren gemacht haben, planlos und ohne Zukunftsvision, dann ist das schon enorm viel.

Es braucht nicht viel. Du, als Vertreter einer jüngeren Generation, trittst dem Männerchor bei und schon erhält das soziale Gefüge neue Impulse.

Ja, und ich denke, dass es gerade an meiner Generation liegt, etwas für unser gemeinsames Zusammenleben zu tun. Für uns sind Themen wie Verstädterung oder Zersiedelung fremd, weil wir tagein tagaus nur damit beschäftigt sind, unseren Lifestyle zu optimieren. Die persönliche Annäherung, die ich im Film verwende, könnte auch eine Möglichkeit sein, meine Generation für diese Problematik zu sensibilisieren.

Oder noch mehr Junge für den Beitritt zum Männerchor zu bewegen?

Genau (lacht).

«Zum Beispiel Suberg» läuft in den Deutschschweizer Kinos. An folgenden Daten sind Simon Baumann und Kathrin Gschwend persönlich anwesend:

7. Dezember, 19 Uhr: Ins, InsKino.
8. Dezember, 10:30 Uhr: Lyss, Kino Apollo.
13. Dezember, 19:30 Worb, Chinoworb.
14. Dezember, 17 Uhr: Laupen, Kino Laupen.
15. Dezember, 10 Uhr: Sumiswald, Kino Bad Ey.
22. Dezember, 17 Uhr: Lyss, Kino Apollo.
28. Dezember, 17 Uhr: Lyss, Kino Apollo.
10. Januar, 18 Uhr: Olten, Kino Lichtspiele.

#-#IMG2#-##-#SMALL#-#Zum Beispiel Suberg. Schweiz 2013. Regie: Simon Baumann. Drehbuch: Simon Baumann und Kathrin Gschwend. Kamera: Andreas Pfiffner und Louis Mataré. Musik: Claudio Bucher und Peder Thomas Pederson. Produktion: Dieter Fahrer. Mit: Simon Baumann und Bürgerinnen und Bürgern von Suberg.

www.zumbeispielsuberg.ch

«Zum Beispiel Suberg» – Trailer »

«Zum Beispiel Suberg» – Hintergrund »

«Zum Beispiel Suberg» – Making of: Dorfplatz »

#-#SMALL#-#

» empfehlen:
das projekt hilfe/kontakt werbung datenschutz/agb impressum