Vampire Weekend: «Modern Vampires Of The City»
Grandiose Skizzen eines urbanen Amerikas
Die eingängigen Melodien sind zwar geblieben. Dennoch: die New Yorker Band Vampire Weekend zeigt mit ihrem dritten Album «Modern Vampires Of The City», dass man luftige Klänge auch mit inhaltlicher Tiefe kombinieren kann.
von Rudolf AmstutzSo also klingen Songs einer Band, die plötzlich erwachsen geworden ist. Dies ist einer der ersten Gedanken, die einem beim Durchhören von «Modern Vampires Of The City» durch den Kopf gehen, dem dritten Album von Vampire Weekend aus New York. Nicht von ungefähr zeigt das schwarzweisse Cover die Skyline ihrer Heimatstadt von einer dichten bedrohlichen Dunstglocke umgeben. Das Bild stammt aus den sechziger Jahren, aus einer Zeit also, in der es noch kein World Trade Center gab, dafür aber der Smog schwer über den Häusern ging.
Die dreckige Luft ist zwar längst weg, doch hängt nun ein Schleier über der Seele der Stadt. Die modernen Vampire sind die ruhelosen Seelen, die in der Stadt, die niemals schläft, umherirren und auf Orientierung hoffen.
«Trau keinem über dreissig» lautete einer der Slogans früherer Generationen. Vampire Weekend trauen sich hingegen hörbar und eindrücklich, die Dreissig zu überschreiten und singen nun von den kleinen Leuten in dieser grossen, wunderbaren Stadt, von Liebe und Tod und vom Glauben an Gott oder was man dafür hält.
Die Spannung liegt im Widerspruch
Solch Schwere mag suggerieren, dass Sänger und Texter Ezra Koenig, Keyboarder Rostam Batmanglij, Bassist Chris Baio und Schlagzeuger Chris Tomson schwer von ihrem musikalischen Kurs abgekommen sein könnten. Doch das Spannungsfeld liegt bekanntlich im Widerspruch. Das Quartett hat sich zwar gelöst von der Polyrhythmik ihres selbstbetitelten Erstlings, der wie ein studentisches Denkmal für Paul Simons «Graceland» klang, und auch vom hektischen und absurd-fröhlichen Zweitling «Contra». Und doch beweisen Koenig und Batmanglij, dass sie begnadete Popsongschreiber sind, die der inhaltlichen Schwere meist luftig leichte Harmonien entgegenzusetzen wissen.
So mag die Titelheldin des Songs «Diane Young» zwar jung sterben, aber sie tut dies zumindest mit Hilfe eines aberwitzigen Rockabillys, derweil die Ungläubigen («Unbelievers») unter den Klängen einer hymnischen Orgel der untergehenden Sonne entgegen reiten können. Die lieblich klingende Ballade «Step» entleiht ihre einleitenden Worte einem Hip-Hop-Song des kalifornischen Kollektivs Souls of Mischief, danach aber verflüchtigen sich Sätze wie «Wisdom’s a gift you’d trade it for youth / Age is an honor – it’s still not the truth» zu Cembalo-Klängen und einem simplen Hip-Hop-Beat.
Von Gott beseelt und vom Teufel geritten
Die zwölf neuen Songs sind in ihrer Gesamtheit ein Kaleidoskop urbaner amerikanischer Befindlichkeiten. Indem sich Vampire Weekend dem Makrokosmos ihrer Heimatstadt zuwenden, die kleinen alltäglichen Dinge und Gedanken austarieren und hörbar machen, legen sie ein Bekenntnis zu New York ab. Viele erliegen dem Missverständnis, dass man einer glitzernden Metropole nur gerecht würde, indem man sie in grossformatigen Bildern festhält. «Modern Vampires Of The City» ist das Gegenteil davon: Zwölf Schnappschüsse in jeweils zwei, drei Minuten philosophisch umschrieben, und zwar in typischer New Yorker Manier: lakonisch und gleichzeitig tiefgründig, melancholisch und gleichzeitig spöttisch, von Gott beseelt und vom Teufel geritten.
Vampire Weekend schaffen das Kunststück, die Zerissenheit ihrer Generation auf den Punkt zu bringen, die nach dem 11. September 2001 erwachsen werden musste, und deren Selbstvertrauen und Zuversicht andauernd von der Unsicherheit über die Zukunft bedroht wird. «Millenial unease», nennt Koenig diesen Zustand, der dann im Song «Don’t Lie» in Sätzen mündet wie «I want to know / does it bother you?/ The low click of a ticking clock/ There’s a headstone right in front of you/ And everyone I know.»
Keine Eintagsfliege
Auch musikalisch ist unüberhörbar, dass sich Vampire Weekend vom potenziellen Hit fortzubewegen versuchen, indem sie eigene Klischees konterkarieren und sich vollständig von den polyrhythmischen Elementen der ersten Alben verabschiedet haben.
Trotzdem ist jeder Ton auf «Modern Vampires Of The City» unverkennbar Vampire Weekend, was zum einen unweigerlich von der starken Identität zeugt, die die Band besitzt und sie zum anderen vom Verdacht befreit, dass es sich bei ihnen um eine in die Jahre gekommene Eintagsfliege handelt, die sich bloss anhand von Hits wie «Oxford Comma», «A-Punk» oder «Horchata» an der Chartsoberfläche hat halten können.
Die Industrie wie auch die Medien taten sich von Anfang an schwer, die vier Absolventen der Columbia University stilistisch einzuordnen. Beim Erstling noch als «Upper West Side Soweto»-Truppe belächelt, pries man sie in der Folge als Vertreter der Brooklyn-Szene, weil in den letzten Jahren nur hip war, was aus Brooklyn kam. Und aus dieser Perspektive waren nun vier gebildete junge Mittelschichts-Herren aus Manhattan mit Hochschulabschluss schlechterdings das Uncoolste, was man sich in der New Yorker Musikszene vorstellen konnte. Die aktuellste Stilrichtung, die man ihnen anzuheften versucht, ist übrigens dem iTunes-Store zu entnehmen: Postgraduate Indie Pop.
Mit «Modern Vampires Of The City» – der Titel ist übrigens einem gleichnamigen Reggae-Song von Junior Reid entlehnt –haben Vampire Weekend deutlich unterstrichen, in welcher Schublade sie sich selber am wohlsten fühlen würden: in jener der musikalischen Chronisten New Yorks. Also dort, wo schon Paul Simon, Lou Reed, Television, die Talking Heads, Sonic Youth, Nas, Public Enemy und viele andere zu Hause sind.
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#-#SMALL#-#Vampire Weekend: «Modern Vampires Of The City», XL Records / Musikvertrieb.
Live at Roseland Ballroom NYC. Regie: Steve Buscemi »
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