6. November 2007

DOSSIER: SOFT MACHINE – Bandgeschichte

Eine Bande kultureller Nicht-Patrioten

Soft Machine waren nicht bloss eine der wichtigsten Exponenten der britischen Rock-Avantgarde der sechziger und siebziger Jahre. Die Band war auch Aushängeschild der sogenannten Canterbury-Szene – obwohl diese vor allem in den Köpfen ihrer Fans zu existieren scheint.

Von Nick Joyce
Soft Machine – Ausgabe 1967: Kevin Ayers, Robert Wyatt und Mike Ratledge (von links). Foto: zvg

Wo Soft Machine drauf steht, ist nicht immer dieselbe Soft Machine drin, denn keine andere Band hat sich so schnell und so radikal weiterentwickelt wie diese Londoner Formation. In den ersten zehn Jahren nach ihrer Gründung im Jahre 1966 durchliefen Soft Machine mehr als ein Dutzend unterschiedlicher Besetzungen und mutierten dabei von Pink Floyds quirliger Schwesterband zu einem gesichtslosen Jazzrock-Kollektiv, dem keines der ursprünglichen Mitglieder mehr angehörte. Da soll einer den Überblick behalten.

Das gilt übrigens auch für die so genannte Canterbury-Szene, deren Aushängeschild Soft Machine angeblich waren. Dermassen mythisch belegt ist dieses kreative Umfeld der späten sechziger und frühen siebziger Jahre, dass viel Unsinn darüber geschrieben wird und ihm Bands wie Henry Cow und Hatfield & The North zugerechnet werden, die weitab der schmucken Touristenstadt zwischen London und Dover aktiv waren. Aber davon später mehr.
 
Am Anfang von Soft Machines turbulenter Geschichte steht die Begegnung zwischen dem australischen Beatnik Daevid Allen und dem englischen Teenager Robert Wyatt: Allen war 1961 in der Gaststätte abgestiegen, die von Wyatts Eltern in der Nähe von Canterbury betrieben wurde, und unter dem Einfluss des weit gereisten Sängers und Gitarristen vertiefte Wyatt seine Jazz-Kenntnisse und verfeinerte sein Schlagzeugspiel. 1963 traten er und sein ehemaliger Schulfreund Hugh Hopper dem Daevid Allen Trio bei, das sich 1964 mit Kevin Ayers und Robert Wyatt am Mikrofon in die Beat-Band Wilde Flowers verwandelte.

Zusammen mit dem in Canterbury geborenen Keyboarder Mike Ratledge fanden sich Wyatt, Allen und Ayers 1966 in London wieder, wo Soft Machine schnell zu einem prominenten Exponenten des aufblühenden Rock-Undergrounds avancierten. Aber bevor das Quartett 1968 sein gleichnamiges Debütalbum einspielen konnte, war Allen in Frankreich hängen geblieben, und nach der Veröffentlichung von «The Soft Machine» gab ein erschöpfter Ayers seinen Austritt.

Obwohl die beiden Alben «The Soft Machine» und «Volume Two» (1969 mit Hugh Hopper am Bass) ein schlüssiges Paar ergaben, dem man die einschneidenden Besetzungswechsel kaum anhörte, signalisierten sie das Ende einer ersten Karrierenetappe. Nie wieder würde Soft Machine denselben leichtfüssigen Charme haben. Denn Ratledge, Hopper und der neue Saxophonist Elton Dean steuerten die Band in eine immer anspruchsvollere Richtung mit immer länger werdenden Kompositionen. Ein Paradigmenwechsel mit schwerwiegenden Konsequenzen. Das in einer Septettbesetzung eingespielte «Third» (1970) wurde zwar das kommerziell erfolgreichste Werk in der ganzen Bandgeschichte, aber mit «Fourth» (1971) ging für Soft Machine eine Ära zu Ende: Robert Wyatt zog sich vom Gesangsmikrofon zurück und konzentrierte sich auf sein Schlagzeugspiel, aber weil er angeblich nicht mit den schwierigen Tempi der neuen Stücke zu Recht kam, wurde er bald darauf gefeuert.

Mit Matching Mole hatte Wyatt bald eine neue Band zusammen; was ihn aber mehr wurmte, als der erniedrigende Rausschmiss, war die Tatsache, dass Soft Machine unter dem alten Namen weitermachten, obwohl die Musik nichts mehr mit dem ursprünglichen Bandkonzept zu tun hatte. «Wir haben es versäumt, den Namen zu schützen», klagte Wyatt unlängst in einem Interview. «Darum kann sich jeder daran bedienen und sich so zusätzliches Profil verschaffen.»

Tatsächlich klangen Soft Machine Mitte der siebziger Jahre wie ein Turnplatz für neue Jazz-Talente, und als Mike Ratledge 1976 die kreative Führung an den für Elton Dean eingestiegenen Multi-Instrumentalisten Karl Jenkins abgab, war der Bruch mit den Anfängen auch personell besiegelt. Bis heute sind Soft Machine vor allem ein Erkennungszeichen, hinter dem sich Hugh Hopper und wechselnde Weggefährten aus seiner Vergangenheit verbergen.

Im Gegensatz zu den Fusion-Exzessen der Siebziger sind die ersten drei Alben der Band gut gealtert. Und dank dem Kult um die Canterbury-Szene, deren Flaggschiff Soft Machine angeblich waren, wächst das Renommee von «The Soft Machine», «Volume Two» und «Third» weiter. Ihre ungebrochene Popularität liegt nicht nur an ihrem heute nostalgisch anmutenden Sound, sondern auch an ihrer schieren Originalität. Als eingefleischte Jazz-Fans brachten Wyatt und Ratledge ein Gespür für Form und Textur in die psychedelische Rockmusik ein, die andere progressive Gruppen erst erlernen mussten. Verglichen mit den trittsicheren Improvisationen von Soft Machine wirken Pink Floyds Gehversuche gar plump.

Das Flair für unverkrampfte Grenzgänge wird als Markenzeichen der Canterbury-Szene gehandelt. Allerdings ist es schwierig, herauszufinden, worin die eigentliche Szene bestand, denn auf die einschlägigen Webseiten mit ihren detaillierten Szene- Stammbäumen darf man sich nicht verlassen: hier wird Mythenpflege betrieben und vieles zusammengeführt, das nur bedingt zusammengehört. Tatsächlich ging von Soft Machine ein dichtes Spinnennetz von seelenverwandten Musikern aus. Nur hatten die meisten dieser Kontakte – einmal vom Wilde-Flowers- Gitarristen Richard Sinclair und dessen Band Caravan abgesehen – denkbar wenig mit Canterbury zu tun. Henry Cow (mit Fred Frith an der Gitarre) wurde in Cambridge aus der Taufe gehoben, Hatfield & The North (später National Health) operierte von London aus, und Daevid Allens Nachfolgeband Gong war in Frankreich stationiert, weil der Australier eine Zeit lang nicht nach England einreisen durfte. Von all den verschiedenen Persönlichkeiten, die der Canterbury-Szene zugerechnet werden, ist nur gerade Hugh Hopper der Schläferstadt im englischen Südwesten über all die Jahre treu geblieben. Das aber nicht etwa wegen der lebendigen Musikszene, gab er einst zu Protokoll. Schon in den  sechziger Jahren sei in Canterbury nicht viel los gewesen, erst Soft Machine hätten die Stadt von London aus auf die musikalische Landkarte gesetzt. 

Wer heute Canterbury sagt, der meint eher ein frei schwebendes Gitter von musizierenden Akteuren ohne fixes Epizentrum. Oder wie es Robert Wyatt vielleicht nennen würde: eine Bande von kulturellen Nicht-Patrioten. «Eine Loslösung von Loyalitäten bringt nur Vorteile», meinte er unlängst. «Wenn man selber nicht auf die eigene Ära oder die eigene Generation fixiert ist, kann man für neue Ideen offen sein, die die Leute auf der Durchreise mit sich führen.»

Ein besseres Bild für die Karriere von Soft Machine gibt es wohl kaum. Schliesslich war diese Band immer auf Reisen ohne fixe Zielkoordinaten.  Was für sie mehr zählte als das Ankommen, war der Weg. Und an dieser Maxime halten Wyatt, Allen, Ayers und Ratledge bis heute fest – auch wenn ihre Wege manchmal gar merkwürdig erscheinen: Mike Ratledges letztes bekanntes Projekt soll eine Fernsehdokumentation über Haarwuchs gewesen sein. Bei Soft Machine darf einem nichts mehr überraschen.

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