18. Februar 2010

DOSSIER: TIM BURTON – MoMA-Retrospektive

«Ich denke am besten, wenn ich zeichne»

Das Museum of Modern Art (MoMA) in New York präsentierte 2010 zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit das Gesamtwerk Tim Burtons. Hunderte von Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen und Skizzen waren neben dem filmischen Schaffen zu sehen und erlaubten in ihrer Gesamtheit für einmal, in die Welt dieses manisch Kreativen einzutauchen.

Von Rudolf Amstutz
Tim Burton. (American, b. 1958). Untitled (The World of Stainboy). 2000. Pen and ink, watercolor wash and colored pencil on paper. Overall: 22.9 x 30.5 cm. Private Collection. © 2009 Tim Burton

Auf der einen Seite sei er sprachlos, sagte Tim Burton an der Eröffnung seiner ersten musealen Werkschau, von einem so illustren Haus wie dem MoMA kontaktiert worden zu sein. Und fügte dann scherzend dazu: «Endlich kam mal jemand bei mir zuhause vorbei und hat Ordnung in die Dinge gebracht.»

In der Tat mussten sich die drei Kuratoren Ron Magliozzi, Jenny He und Rajendra Roy durch völlig ungeordnete Stapel von Zeichnungen, Notizen, Gedichte, Cartoons und Skizzenbücher arbeiten, um ein Bild über das Werk dieses Mannes zu erhalten, der von sich sagt: «Ich denke am besten, wenn ich zeichne.» Albert Finney, der die Hauptrolle in Burtons Film «Big Fish» spielt, meinte über seinen Regisseur: «Ich habe noch nie einen solchen Menschen getroffen. Er ist permanent in Bewegung und zeichnet, während er spricht und notiert sich andauernd Ideen für ein zukünftiges Projekt. Ich frage mich, ob Tim überhaupt jemals schläft.»

Burton selber sagt, er habe Mühe seine Gedanken verbal zu äussern. Da bei ihm der Intellekt stark an ein emotionales Grundgefühl gebunden ist, versucht er diesen Zustand zu visualisieren. Als Burton Johnny Depp den Charakter des von ihm zu spielenden «Edward Scissorhands» zu erklären versuchte, zeigte er ihm seine angefertigten Skizzen. Danach, so Depp, sei völlig klar gewesen, was Edward für ein Charakter werden sollte.

Und nun können auch Normalsterbliche eintreten in die Welt des Tim Burton, auch wenn die Filme letztlich die Quintessenz Burtons sind, geben seine Aufzeichnungen doch ein Bild ab über den atemlosen Zustand dieses Mannes, der sich bereits als Jugendlicher entfremdet von der Aussenwelt als Schöpfer einer Welt outete, in dem der Schwache sich gegen die Normalität zu beweisen weiss. Die Ausstellung im MoMA wurde bewusst auf relativ engem Raum konzipiert. Die schier nicht zu bewältigende Masse der kreativen Schübe sollte visuell umgesetzt werden. (Doch rechnete man wohl nicht mit der grossen Fangemeinde, die Burton als Kultregisseur besitzt. Die Tickets werden nun zeitgebunden ausgestellt und bei diesem grossen Andrang wird das Konzept zum Hindernis.)

Chronologisch gestaltet, beleuchtet die Ausstellung eindrücklich den Weg, den der als Jugendlicher von Alltag entfremdete Burton einschlug, um am Ende als einer der heute kreativsten Vertreter des Autorenkinos zu werden. Zu Beginn ist da ein eher hilfloser Versuch Burtons (Jahrgang 1958) aus den frühen siebziger Jahren, sein Idol Vincent Price zu porträtieren. Zudem scheint sich Burton vorerst an den Pop Surrealisten zu orientieren, einer kalifornischen Bewegung der sechziger Jahre, die der Konzeptkunst den Umgang mit kommerziellen Themen entgegenhielt. Als Ausgangspunkt wurden Autos, Tatoos, Pinup-Girls, Science Fiction-Filmzitate oder Spielzeuge verwendet. Zudem übte sich Autodidakt Burton als Cartoonist und studierte die Ästhetik von Leuten wie Ralph Steadman. Während seiner vierjährigen Anstellung als Zeichner bei Disney variierte er in der Folge die Ikonen der Zeichentrickfabrik oft bis zur Unkenntlichkeit.

Es wird bei der zeitlichen Bilderfolge immer klarer, worin der Kern der Burtonschen Motivation liegt. Im Spannungsfeld zwischen Erwachsenen- und Kinderwelt lotet er die Ambivalenz der Charaktere immer sorgfältiger und – der Anzahl der Variationen nach zu urteilen – immer besessener aus. Er sucht das Böse, das sich hinter dem vordergründig herzlichen Lachen verbirgt. Oder umgekehrt: er arbeitet den guten Kern von morbiden Gestalten heraus. Das Monster wird bei Burton zum geschundenen Aussenseiter, der sich in der von der Allgemeinheit deklarierten Normalität nicht behaupten kann. In zahlreichen Serien – meist Zeichnungen, die mit Blei-, Farb- oder Filzstift entstanden sind – deklariert er die Surrealität zur zweiten Wirklichkeit, als legitimer Partner zum Alltag. Und er tut dies ausschliesslich anhand von einzelnen Figuren. Landschaften interessieren ihn nicht. Die von ihm ausgearbeitete Dualität wohnt seinen Charakteren inne, die als Vertreter der eigenen Befindlichkeit sich der Welt beweisen wollen.

Gibt der erste Teil der Ausstellung Einblick in die Welt eines Künstlers, der seine Sprache noch finden muss, so gestaltet sich der zweite Teil wesentlich griffiger. Die von ihm ausgearbeiteten Charaktere werden nun zu Ausgangspunkten für seine Filme.

Die Charakterstudien zu «Edward Scissorhands» etwa, oder die sorgfältige Auseinandersetzung mit den skurillen und morbiden Protagonisten von «Nightmare Before Christmas», die ein inniges Verhältnis des Schöpfers zu seinen Kreaturen offenbaren. Als weiteres Element sind in der Ausstellung dreidimensionale Ausführungen von Figuren zu sehen, die unter Aufsicht Burtons von befreundeten Studios angefertigt wurden und der exakteren Umsetzung der filmischen Versionen dienten. Aber auch die bereits zweidimensional erarbeitete Puppenserie ist als gegenständliche Serie zu sehen. Dazu gehört «Stain Boy», der kleine Superheld, dessen einzige Superkraft darin besteht, Tintenflecke zu produzieren. Oder «Oyster Boy», dessen Lebenslast durch ein Kopf in Austernform symbolisiert wird. Aber auch die kleinen grünen giftigen Marsmännchen sind neben den zeichnerischen Studien zu sehen und beweisen so, dass sich Burton bis ins kleinste Detail Gedanken über seine Schöpfungen macht, bevor er die filmische Umsetzung vorantreibt.

Eher als Ergänzung zum künstlerischen Teil sind zahlreiche Relikte aus bekannten Burton-Filmen ausgestellt: das Kostüm, das Michael Keaton in «Batman» getragen hat, die Helme aus «Planet of the Apes» oder der Angora-Pullover, den Johnny Depp in der Rolle von «Ed Wood» überstreifen musste.

Die Retrospektive als Ganzes dient nicht dazu, die Substanz Tim Burtons als bildender Künstler zu unterstreichen, was einige Kunstkritiker fälschlicherweise bereits im Vorfeld der Ausstellung bemängelten. Hier geht es nicht um die einzelnen ausgestellten Arbeiten, sondern um die Illustration eines einzigen grossen Kunstwerkes, entstanden im Kopf eines Mannes, der seine Jugend zum Anlass nahm, ein eigenes, in seiner Art völlig einzigartiges und unverwechselbares Universum zu schaffen, das sich als Quintessenz in der Summe all seiner Werke, insbesondere seiner Filme, immer wieder aufs Neue bestaunen lässt.

#-#IMG2#-##-#SMALL#-#Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Ron Magliozzi and Jenny He (Hrsg.). Tim Burton. Museum of Modern Art, New York. 64 Seiten. Mit Essays und zahlreichen Abbildungen. $ 19,95

MoMA-Webseite zur Ausstellung (interaktiv) »

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