9. Januar 2012
Kolumne von Hanspeter Künzler, London

The Birth of the Künzler Brand

Das letzte Mal, als ich diese Kolumne schreiben durfte, hatte ich noch keinen Bart. Jedenfalls keinen rechten. Jetzt habe ich einen. Es ist keine Designer-Kreation mit subtil eingerollten Flügelchen, wo alles schön gleichmässig zuwegegestutzt ist. Eher ist es ein Hexenbesen, der, von einer herbstlich sich entkleidenden Buche gepflückt, vorn auf mein Kinn geleimt wurde. Eigentlich begann es mit Faulheit. Die ständige Rasiererei ging mir einfach auf den Keks. Ausserdem stellte ich fest, dass die Stoppeln, die sich nach zwei, drei Tagen auf der unteren Hälfte meines Gesichtes ansammelten, nichts zu dessen ästhetischer Verschönerung beitrugen (beim Teutates, man könnte sie brauchen!), sondern im Gegenteil die Aufmerksamkeit des Betrachters nur noch mehr auf die sich ansammelnden Schichten von Doppelkinn lenkten. 

Selbige Tatsache ging mir eines Tages auf, als mir schon wieder jemand mit der Bemerkung begegnete: «Wow, hast du aber abgenommen seit dem letzten Mal!» Ich hatte solche Sprüche lang als Kompliment aufgefasst, obwohl ich mich schon ein bisschen gewundert hatte, woher der plötzliche Schlankheitseffekt kommen sollte, wo doch mein Konsum von edlen britischen Ales und Biscuits aus der Bäckerei von Prinz Charles keineswegs abgenommen hatte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: ich musste den Leuten als ziemlicher Dickwanst in Erinnerung geblieben sein, wenn sie mich jetzt für schlank und rank hielten. Fortan achtete ich aufmerksam darauf, in welchen Situationen ich das Abmagerungs-Anti-Kompliment zu hören bekam, und siehe da, es war immer dann, wenn ich mich gerade frisch rasiert hatte. Das war ein harter Schlag fürs Ego: ich musste einsehen, dass die Methode eines Luis Figo oder eines Bob Geldof, ihren Visagen mittels Bartstoppeln ungeahnte Konturen zu verpassen, so, wie es Damen mit Make-Up tun, beim Künzler einfach nicht funktionierte. Die Krise erforderte die Gründung eines Drink-Tank. Nach mehreren turbulenten Meetings im «Prince of Wales» kam dieser zum Schluss, dass es nur zwei Möglichkeiten gäbe, dem ungewollten Nebeneffekt einer Stoppel/Doppelkultur auszuweichen: a) täglich rasieren oder b): gar nicht mehr rasieren.

Aus dem eingangs erwähnten Grund – Faulheit – gab es natürlich nur eine Option, nämlich b). Nun will man ja nicht bluffen, aber ich glaube, dass ich einen überzeugenden «Bartli» abgebe. In der Tat hat mir grad gestern auf der Strasse wieder ein wildfremder Musikfan zugewunken und gerufen: «Yo! ZZ Top!» Im Gegensatz zu den Abmagerungskommentaren (der nächste Schritt: «Du bist so dünn, bist Du etwa krank?») fasse ich dies als waschechtes Kompliment auf. Wobei das Gewächs in meinem Gesicht unterdessen einen lobenswerten Drang zur Kreativität an den Tag gelegt hat. So spriesst dort, wo bei Elvis die Koteletten wucherten, bei mir überhaupt nichts, dafür eben am Kinn alles – und dies dazu noch mit einem schwarz/weissen Zebra-Effekt, den kein Coiffeur einfach so zuwege brächte. Im Zeitalter des «Branding» ist das ein Glücksfall. Der Wiedererkennungswert ist frappant, das stelle ich in den Strassen von Kilburn jeden Tag wieder fest. Auf einmal wird mir aus allen Richtungen zugenickt, zugewunken und zugegrinst, und meistens habe ich nicht den Schimmer einer Ahnung, wer die Nicker, Winker und Grinser sind. 

Ich habe dazu eine Theorie entwickelt: Der inzwischen wirklich ziemlich absurde Bart bleibt in der Erinnerung haften, auch wenn man ihm nur mal kurz in der Schlange auf der Post oder im Corner Shop begegnet ist. Bei der nächsten Zufallsbegegnung registriert der andere im Bruchteil der Sekunde, wo er den Bart sieht, bloss, dass er diesen irgendwoher kennt, nicht aber, woher – so inszeniert er denn rein prophylaktisch flugs ein Nicken, Winken oder Grinsen, einfach, weil er das Risiko nicht eingehen will, jemanden, den er tatsächlich kennt, durch Ignorieren zu brüskieren. Bestimmt gibt es in Kilburn täglich Dutzende von Männern und Frauen, die heimgehen und sich fragen: «Wer war das nun schon wieder, den ich da so freundlich gegrüsst habe?» Nein, meine lieben Unbekannten: Die Macher von «Brand Künzler» freuen sich jedes Mal tierisch, wenn die Richtigkeit ihrer Planung nur schon durch ein charmantes Lächeln belegt wird.

Es ist im Ernst erstaunlich, wie man als «Bartli» anders behandelt wird im Alltag. Schon darum ziehe ich das «Experiment Bart» weiter. Zum Beispiel vergessen Frauen jeden Alters alle Hemmungen. Da wandelt man ohne an etwas Böses zu denken gemütlich so dahin, um plötzlich aus irgend einer Ecke eine feurige Furie auf sich stürzen zu sehen, die alsbald heftig am Hexenbesen zerrt: «You don’t mind, do you?», kichert sie gewöhnlich und kann eine sexy kleine Errötung der Wangen nicht verbergen: «I always wanted to touch a beard.» Ich verstehe die Logik gut, nach der ein Bart nicht wirklich als ein Teil des Körpers erachtet wird, sondern eher als ein neues Schokoladeprodukt in der Auslage eines Kioskes, das man als Schoggi-Kenner einfach betatschen muss. Wenn man sich also einem Bartli ins Heu wirft, verletzt man nicht mehr ein Tabu, als wenn man im Vorbeigehen eine Himbeere vom Strauch des Nachbarn pflückt. Manchmal habe ich ja selber das Gefühl, der Bart gehöre nicht zu mir, etwa dann, wenn er wie eine lose Kravatte über meine Schulter hinweg im Wind flattert. 

Bemerkenswert ist die Wirkung eines «brand-definierenden» Bartes übrigens auch in einer x-beliebigen Gesprächsrunde: da ist es plötzlich ganz einfach, sich Gehör zu verschaffen. Sobald der Bart zu wackeln beginnt und Laute daraus hervorstossen, schweigt die Runde und horcht. Möglicherweise ist dies auf einen ähnlichen Überrschungseffekt zurückzuführen, wie wenn das Pferd an der Bar auf einmal Berndeutsch spricht – auf den ersten Blick sieht der Brand-Künzler-Bart einem Schamhaar-Dreieck verblüffend ähnlich, und ein solches zeichnet sich sonst ja auch nicht gerade durch seine Beredtsamkeit aus. Der Bart scheint Autorität zu verleihen. In den Augen von einheimischen und ausländischen Fussgängern macht es mich zum einem wandelnden Stadtplan; treuherzig blicken sie mir nicht in die Augen, sondern auf den Mund, wenn ich die Frage beantworte, wie man zur Royal Albert Hall käme («Practice, man, practice!»). Männer geben sich übrigens nicht halb so verwegen wie Frauen: ein Mann hat mir noch nirgends einfach so in den Bart gegriffen. Hingegen geht selten ein Auftritt von «Brand Künzler» in einer Bar ohne eine Konversation ab, die ungefähr folgenden Verlauf nimmt:

Er: Excuse me, ist es erlaubt, ihnen eine Frage zu stellen?

Ich: Selbstverständlich, nur zu.

Er: Es ist eine leicht persönliche Frage, sie brauchen sie nicht zu beantworten.

Ich: Ach, so schlimm wird’s nicht sein.

Er: Sagen sie, warum haben sie diesen Bart?

Ich: Weil ich zu faul bin zum Rasieren.

Er: Nein, wirklich!? Sagen Sie, ist die Pflege nicht wahnsinnig zeitraubend?

Ich: Im Gegenteil. Ich tue überhaupt nichts.

Er: Wissen sie, ich wollte auch immer schon mal...

 

Lustig war auch eine Begegnung letzthin im Zürcher Tram:

Er: (setzt sich neben mich, guckt kurz). Grüezi!

Ich: Grüezi.

Er: Oh, tschuldigung, hab sie verwechselt. Ich dachte, sie seien der Pfleger im Burghölzli.

Ich: Nein, der bin ich leider nicht.

Er: Nein, der sind sie nicht."(schweigt ein paar Momente und tappt mir dann an den Ellbogen). Ist der Töff kaputt, sie? Warum fahren sie im Tram?

 

Nicht zu vergessen sind die kulturellen Implikationen und Assoziationen, die ein Bart so mit sich bringt. Derweil unsereiner beim Anblick des neuen «Brand Künzler» am ehesten wohl an Harley-Davidson, Bonnie «Prince» Billy oder Charles Darwin denkt, gibt es da draussen noch ein ganzes Universum von Bart-Assoziationen, deren Erkundung mich sehr reizt. So habe ich mich noch nicht ganz daran gewöhnt, dass ich von älteren Muslimen mit wallenden Bärten freundlichst gegrüsst werde – derweil junge Muslims mit wallenden Bärten mir eher feindselig ins Gesicht blicken. Letzthin wohnte ich in einer lokalen Synagoge einer Bat Mitzwa Feier bei (es ist dies die weibliche Version des Bar Mitzwa) und stellte fest, dass ich mit dem zeremoniellen Schal über der Schulter und dem Mützchen auf dem Hinterkopf richtiggehend glaubwürdig in die Szene passte – tatsächlich eilte mir nachher der Rabbi mit ausgestreckter Hand entgegen und lud mich ein, seine Synagoge zu meiner Stamm-Synagoge zu machen. 

Es hat auch andere Reaktionen gegeben, vor allem, als der Bart noch etwas kürzer war und wenn ich im Jeans-Jäggli daherkam: bei drei verschiedenen Gelegenheiten setzte ich mich im Bus auf den Sitz, der junge Mann, beziehungsweise die junge Frau vor mir drehte sich demonstrativ und missbilligend zu mir um, stand auf und suchte sich einen anderen Sitz. Ich habe mir lang überlegt, was hier geschehen sein könnte und habe nur eine mögliche Antwort gefunden: Assoziationen, die den dreien nicht passten. Homophobische Assoziationen zum Beispiel. Bart, Jeans...Seit der Bart ins Kraut geschossen ist, bin ich keinen so offenen Kriegserklärungen mehr begegnet. Vielleicht müsste ich ihn doch wieder stutzen, damit das Spiel mit dem Image wieder etwas gefährlicher wird...

Hanspeter Künzler

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